Diese oft geführte Debatte über Gewalt ist eine immer Wiederkehrende. Vor allem im bürgerlichen , sowie im linken Spektrum flammt sie nach Ausschreitungen auf Demonstrationen in Deutschland auf, was vor allem auch der Presse zu verdanken ist. Bemerkenswert sind vor allem drei Positionen:
– Die häufigsten Reaktionen sind Distanzierungen, Skandalisierung und das Aufzählen von möglichst hohen Zahlen, was den Sachschaden und die Verletzten angeht. Hier ist anzumerken, dass diese vermeintlich pazifistische Äußerung, die oft im Text irgendwo auftritt ziemlich verlogen ist. Das sieht man vor allem an der Berichtserstattung der gleichen Zeitung über Ausschreitungen in Ländern mit einer vermeintlich schlechten Regierung, bei denen dann die Schuld der Eskalation beim bösen Regenten liegt. Die Aktionen (oder Reaktionen) der Aktivisten sind dabei oft die Gleichen: brennende Autos, fliegende Steine usw. Das Ziel ist hier oft bloß das Entpolitisieren von Aktionen oder das Schaffen von Schlagzeilen.
– Auch nicht selten ist zu lesen, dass die Forderungen berechtigt seien, die Form des Protestes aber die Falsche sei. Das ist vom Schreibtisch eines Linksliberalen schnell geschrieben, vor allem, wenn dieser sich in den Protest nicht einbringt oder dies zwar tut, aber mit weitaus weniger radikalen Forderungen als die „RandaliererInnen“. Der Pazifismus ist hier bürgerlich. Die meisten Bürgerlichen sind zwar für eine Gesellschaft ohne Kriege, vielleicht auch noch für eine ohne Gewalt, sehen für die Erfüllung dieses Ideals aber den Staat in Verantwortung und wollen keine radikale Veränderung im System. Ihre Forderung bezieht sich lediglich auf die Abschaffung eines Symptoms – die Folge einer eh schon auf Gewalt beruhenden Gesellschaftsordnung -, scheitert aber am Ignorieren der Ursache.
– Die Dritte der Positionen ist die Anarchistische. Diese besteht, einfach gesagt, aus den Befürwortern von Gewaltanwendung als politisches Mittel und aus solchen, die dagegen sind. Dieser Text soll diese Debatte nicht beenden, sondern zur Kontroverse beitragen. Der Streit um dieses Thema ist sehr wichtig und sollte von all jenen geführt werden, die bereits eine politische Ausrichtung haben. Als Ausgangspunkt setzen wir hier eine freiheitliche Utopie, beziehungsweise die Ablehnung der jetzigen Ordnung voraus.
Vor allem besteht der Text aus eigenen Ansichten oder aus Argumenten, die wir zwar nicht selber vertreten, aber für eine Diskussion halten.
Der Beginn eines guten Streits benötigt allerdings einiges. Zum einen müssen wir das Thema der Moral klären, um überhaupt sagen zu können, was nun richtig ist. Auch müssen wir uns mit dem Begriff der Gewalt auseinandersetzen, was er aussagt und was er impliziert. Außerdem sehen wir es als notwendig an, die Umstände zu betrachten, unter denen wir leben und welche wir stattdessen fordern.
Das erste Problem der meisten Pro – Kontra Gespräche über Gewaltanwendung: Meist wird bloß rezitiert, was man von Eltern, Schule, Staat und Kirche beigebracht bekommen hat, ohne dies Grundlegend reflektiert zu haben. Schule und Staat, was im Endeffekt das Gleiche ist, haben dazu vor allem Eins zu sagen: „L’État, c’est moi!“, der Staat bin ich! Und wenn jemand Gewalt ausübt, so bin auch ich das, und wehe dem, der das in Frage stellt.
Wie es die Theorie sagt, so überträgt „das Volk“ dem Staat alleine das Recht auf unmittelbaren Zwang und physische/körperliche Gewalt. Dadurch soll das Zusammenleben geregelt werden. Um auf die bürgerliche Position zurückzukommen, welche immer den Staat bejaht, so ist anzumerken, dass der bürgerliche Pazifismus bloß das ausdrückt, was der Staat fordert. Der Staat und alles, was er zur Folge hat, werden also implizit gestärkt. Dass das staatliche Gewaltmonopol vor allem dazu da ist, das ökonomische System, welches auf Ungleichheit beruht und diese Ungleichheit offensichtlich als Folge hat, wollen wir hier noch mal in Erinnerung rufen.
Auch finden wir ein emotionalisiertes Argumentieren nicht hilfreich. Wer sein Handeln mit Emotionen begründet, sollte die Ursache dieser Emotionen analysieren und wird in vielen Fällen feststellen, dass ein Gefühl nicht aus dem Nichts kommt. Gerade ein Gerechtigkeitsempfinden ist anerzogen und sollte überdacht werden.
Was soll ich tun, das ist die berühmte Frage, mit der Kant das Problem der Ethik umschrieb. Ethik ist also der Bereich der Philosophie, der sich damit beschäftigt, wie sich Menschen verhalten sollen. Moral ist im Gegensatz dazu nicht die theoretische Befassung mit dieser Thematik, sondern bezeichnet laut Wikipedia zumeist die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln oder -prinzipien bestimmter Individuen, Gruppen oder Kulturen. Wir müssen uns also erst um die allgemeinen Regeln kümmern, von denen wir meinen, dass man nach diesen Handeln soll, bevor wir uns um einzelne Situationen oder Handlungsweisen kümmern.
Der Staat kann uns in diesem Punkt nicht helfen, wie wir gesehen haben, doch wie ist es mit der Kirche? Zum einen denken wir nicht, dass es einen Gott gibt, aber selbst wenn, was würde es helfen? Eine Transzendenz (= Gott) wird eben als Solche bezeichnet, da sie nicht im Bereich des Erfahrbaren liegt. Wir können also mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen, ob es Gott gibt. Sollte es ihn also geben, so ist es fraglich, wie dieser uns eine Moral vorschreiben könnte. Außerdem gibt es viele Religionen, die behaupten ihren Gott zu vertreten; muss man sich da jetzt die Wahre raussuchen, oder sogar selber eine gründen? Und um der Absurdität noch ein letztes beizufügen: Gott hat uns angeblich als freie Wesen geschaffen. Aber was bringt uns die Freiheit, wenn sie mit der Forderung der kompletten Unterwerfung einhergeht? Und hat eine Handlung nicht einen Zweck? Denn dann hätte die Schöpfung auch einen, die somit dem Menschen vorgegeben wäre, wodurch er nicht mehr frei wäre.
Genug damit, betrachten wir lieber den Mensch, um Aufschluss darüber zu finden, was er ist/soll! Der Mensch ist böse, er ist gut, egoistisch oder liebend. Ist er alles davon, oder nichts? Wenn es darum geht, ob Anarchie möglich ist, so wird meist geantwortet, er sei egoistisch, weswegen der Versuch sinnlos sei. Zum einen sind wir der Meinung, dass es selbst einem Egoisten einleuchten müsste, dass die Anarchie für ihn das Beste ist. Zwar kann er andere nicht mehr beherrschen und berauben, jedoch ist das dann auch gar nicht nötig, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, worum es dem Egoisten schließlich geht. Zum anderen sind wir der Meinung, dass der Mensch nichts von alldem ist. Er ist vor allem eins – frei. Oder nach Sartre „zur Freiheit verurteilt“.
Wenn der Mensch nach seinem Wesen frei ist, so bleibt ihm auch nichts anderes übrig, als sich seine Moralvorstellungen von sich selbst abzuleiten. Wir würden die Behauptung aufstellen, dass es sich die meisten Menschen zum Ziel setzen und es ihnen gut geht. Aber geht es einer einzelnen Person gut, wenn ihr direktes Umfeld verelendet oder mein Wohlstand sogar ihr Elend verursacht? Viele Leute entscheiden sich deswegen dazu, so zu handeln, dass es für sie selbst etwas bringt und anderen zumindest nicht schadet. Vielleicht ist es hier sinnvoller zu überlegen, was für eine Gesellschaft wir wollen.
Um Phrasen zu dreschen: Wir wollen eine Ordnung, in der alle gleichberechtigt sind und die individuellen Bedürfnisse im Rahmen der Möglichkeiten befriedigt werden. Das impliziert, dass es keine Herrschaft gibt und keine Gewalt angewendet wird.
Was ist Gewalt? In der Soziologie ist Gewalt, wenn durch Kommunikation oder Interaktion Zwang auf Menschen ausgeübt wird. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird auch das Zerstören oder Beschädigen von Gegenständen verstanden. Mit der Betrachtung der Soziologen stimmt das überein, wenn man bedenkt, dass wenn ein Gegenstand zerstört wird, der einer Person gehört hat, diese dann gezwungen ist auf diesen Gegenstand zu verzichten oder sich diesen neu zu beschaffen. Die Ausübung von Zwang könnte man auch auffassen als eine Handlung, die die Person betrifft und gegen ihre Wünsche gerichtet ist. Hier wird der Zusammenhang von Macht und Gewalt offensichtlich.
Wie schon besprochen, ist in der jetzigen Gesellschaft die Gewalt beim Staat zentralisiert. Es ist jeder und jedem im Staat verboten selber welche anzuwenden.
Wir lehnen Gewalt ab und möchten selbstbestimmt leben und produzieren können. Dies wird uns aber durch die Besitzverhältnisse und den Staatsapparat, welcher diese aufrecht erhält verwirkt. Das System übt also fortlaufend Zwang aus, worauf auf drei verschiedene Arten reagiert werden kann:
– Die Unterwerfung des Einzelnen. Das Monopol des Staats anerkennen und danach handeln. Selber könnte man sich als Pazifist sehen.
– Versuchen sich der Mittel des Staats zu bedienen, um seine eigenen Interessen durchzusetzen. Das kann auf der einen Seite das Mitwirken in der Demokratie sein, indem man Petitionen schreibt oder gar versucht ins Parlament zu kommen. Das Handeln ist Systemimmanent, da versucht wird die Gesetze (für einen selber) zu verbessern, die Gewalt sind, da sie Machtausübung sind.
– Als Drittes bleibt der Versuch, die Macht zu durchbrechen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge umordnen zu wollen. Aus der Opferrolle rauszukommen und selber zu beginnen zu handeln.
Handeln und selbst aktiv werden, das sieht für verschiedene Leute verschieden aus. Pazifisten behaupten oft, die Mittel müssten sich am Ziel orientieren und dürften diesem nicht widersprechen. Das stimmt aber nur ein Stück weit. Wir wollen primär eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Um das zu erreichen, sind wir der Meinung, dass die Gruppen, in denen wir uns organisieren, ohne Hierarchien funktionieren müssen. Zum einen, weil uns das die Arbeit in der Gruppe erleichtert und dieser zu Gute kommt, und zum anderen, weil eine Machtstruktur immer auf ihren Erhalt aus ist und versucht, diese zu ihren Zwecken nutzbar zu machen. Denn das ist der hauptsächliche Sinn von Herrschaft, was sich nicht ändern wird.
Um an dieser Stelle weitermachen zu können, müssen wir allerdings fragen, was es ist, wenn sogenannte Notwehr angewendet wird oder die von Frantz Fanon und Herbert Marcuse formulierte Gegengewalt. Offensichtlich ist es den Machtstrukturen nicht zuträglich, wenn Leute sich zusammen tun und Häuser besetzen. Dies merkt man auch sehr schnell, wenn geräumt wird und wieder auf der Straße oder gar in der Zelle sitzt. Der Alltag ist dann wieder hergestellt, der Widerstand beseitigt. Wenn dieses Gebäude nun mit „Gewalt“ verteidigt wird, die Menschen anfangen sich selbst zu ermächtigen und das Gewaltmonopol zu durchbrechen kann es sein, dass aus diesem Gebäude zumindest für einen längeren Zeitraum ein autonomes Zentrum wird. Das kann auch ein ganzer Stadtteil sein, wie beispielsweite Exarchia in Athen. Ein (wenn auch kleines) Gebiet ist für die Herrscher nicht mehr verfügbar, es entsteht ein Raum, in dem die Leute der Utopie ein Stück näher kommen. Die Macht und die Kette ihrer Gewalt wurde mit „Gegengewalt“ gebrochen, ohne diese Kette weiterzuführen. Für Einige ist hier kein Konflikt von Ziel und Zielerreichung zu sehen. Wer in Ketten liegt, muss diese eben zerschlagen.
Für uns, die gegen Krieg sind, ist es also nur logisch, wenn die Mittel, mit denen Krieg geführt wird, auch zerstört werden.
Was ist aber, wenn bei der Verteidigung des besetzten Hauses von Seiten der BesetzerInnen auf Einsatzkräfte geschossen wird? Vor allem würde nach wenigen Stunden das Gebäude von Spezialeinheiten gestürmt werden. Außerdem ist hier keineswegs von Verhältnismäßigkeit zu sprechen. Wenn die Aktion für eine große Menge an Leuten positive Folgen haben soll, so berechtigt das nicht, ein paar Wenigen das Leben zu nehmen, vor allem nicht, wenn diese von sich aus nicht angefangen haben zu schießen.
In Rojava, wo das Leben der Menschen allein auf Grund ihrer Religion oder Kultur angegriffen wird, ist das Ganze wiederum anders. Inwiefern hier der bewaffnete Kampf gerechtfertigt ist, wollen wir in diesem Text nicht behandeln.