Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen*

[Eine inhaltliche Warnung: Dieser Text handelt von Gewalt, unter anderem sexistische Gewalt, sexualisierte Gewalt, physische Gewalt. Triff die Entscheidung, ob du dies lesen willst.]

Der internationale Tag für die Abschaffung von Gewalt gegen Mädchen* und Frauen* – was ist das?
Der 25. November als Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen geht zurück auf einen Kongress lateinamerikanischer und karibischer Feministinnen im Jahre 1981. Dort wurde in Gedenken an die Ermordnung dreier aus der Dominikanischen Republik stammenden Widerstandskämpferinnen dieser Tag ausgerufen. Die Schwestern Patria, Minerva und María Teresa Mirabal wurden am 25. November 1960 auf Veranlassung des dominikanischen Diktators Raphael Leónides Trujillo ermordet. Der Vorschlag für diesen Tag (Dia Internacional de la No Violencia Contra la Mujer) kam von der dominikanische Schriftstellerin und Kongressteilnehmerin Angela Hernández. Minerva, Patria und María Teresa waren laut Angela Hernández „für uns ein Beispiel für das Spektrum von häuslicher, sexueller, politischer und kultureller Gewalt, unter denen wir Frauen zu leiden haben.“

Seit 1999 ist der 25. November auch von den Vereinten Nationen als offizieller internationaler Gedenktag anerkannt. In internationalen Dokumenten wird Gewalt gegen Frauen heute als Menschenrechtsverletzung eingestuft. Um auf die »Gewalt gegen Frauen« aufmerksam zu machen, protestieren jedes Jahr am 25. November Menschen in aller Welt. Seit ein paar Jahren finden auch in Europa an diesem Tag Aktivitäten statt.

Wie ist das hier mit der Gewalt?
Zu zwischenmenschlicher Gewalt gegen Mädchen* und Frauen* In Deutschland werden regelmäßig Zahlen z.B. vom Bundeskriminalamt veröffentlicht. Viele Frauen* und viele Mädchen* erfahren Gewalt. 2017 sind laut BKA in Deutschland 114.000 Frauen* von partnerschaftlicher Gewalt betroffen gewesen und 141 Frauen* wurden von Partnern oder Ex-Partnern ermordet worden. In anderen Worten: Jeden 2,5 Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Täglich findet ein Tötungsversuch in diesem Kontext statt.

Über Statistiken wird nun viel gestritten. Viele Menschen wissen aus eigener Erfahrung, dass erlittene Gewalt oft nicht angezeigt wird, oder nicht richtig zugeordnet werden kann. Die Dunkelziffer, insbesondere zu häuslicher Gewalt ist nach wie vor groß, auch wenn eine gesteigerte Sensibilisierung für einen größeren Anteil an angezeigten Taten gesorgt hat. Viele Menschen wissen ebenso aus eigener Erfahrung, dass nicht jede Gewalt strafrechtlich abgebildet ist. Ein Beispiel sind jene Formen von psychologischer Gewalt die ohne „strafrechtlich relevante“ Taten und Aussagen auskommen. Dementsprechend werden in Beratungsstellen für Gewaltopfer und Frauenschutzorganisationen die Zahlen der Gewalttaten eher höher geschätzt.

Eigentlich wohlbekannt aber immer wieder erwähnenswert ist, dass sexualisierte Gewalt meist von bekannten Männern ausgeht, nicht von Fremden. Väter, Partner, Brüder, Vorgesetzte, Nachbarn, ein Date, der Ex. Der Ex verdient besondere Erwähnung: Die meisten von der BKA erfassten Partnerschaftsgewaltsdelikte gingen von Ex-Partnern aus. Der häufige Ratschlag eine Frau „solle sich halt endlich mal trennen“ wenn sie sich und ihre Kinder vor Gewalt schützen will (und sei selbst Schuld, wenn sie das nicht tut) ist unbedacht. In besonderer Gefahr sind weiterhin Minderjährige.

In vielen anderen Ländern weltweit wird die Thematik intensiver diskutiert und auch daran gerarbeitet, die Situation zu verbessern, als hierzulande. Ein im Bundestag angebrachter Antrag, Femizide auch als solche zu benennen und in den Kriminalstatistiken zu führen wurde mit „fehlender Notwendigkeit“ durch die Bundesregierung abgelehnt. Als größte Erungenschaft in den letzten Jahren im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen wird durch die Bundesregierung die Einrichtung eines immer erreichbaren Hilfetelefones angeführt. Dass jedes Jahr über 100.000 Frauen* in Frauenhäusern abgelehnt werden müssen, weil die Kapazitäten und finanziellen Möglichkeiten dieser nicht ausreichen, wird nicht als ein zu verbesserndes Problem anerkannt. Das (nicht-) Vorgehen in dieser Thematik hält seit vielen Jahren an, es entsteht der Eindruck das Problem soll ausgesessen werden.

„Unsere Gewalt, deren Gewalt“ – rechte Perspektiven
Spannend ist das Interesse von Rechts am Thema. Über Gewalt gegen Mädchen und Frauen wird da viel geredet und protestiert. Bewegungen, die sich zum Ziel gesetzt haben gegen Gewalt gegen Mädchen und Frauen vorzugehen, werden dabei aber wenig gewürdigt.

Dem Feminismus z.B. wird nachgesagt unseren Frauen eher zu schaden und sie charakterlich zu schwächen. Zum einen würde uns ein falsches Opferbewusstsein eingeimpft, so heißt es („Opferkult“) zum anderen werden Frauen zu tickenden Zeitbomben, die bei der kleinsten Kränkung links und rechts unschuldige Männer Falschbeschuldigen werden und ganze Existenzen zerstören, oder so scheint es. Die Männer würden auch charakterlich beschädigt. Vor lauter political correctness können die Armen nicht mehr klar denken und vor lauter Entmännlichung nicht mehr kraftvoll handeln. „Unser Volk“ sei geschwächt, und da braucht man sich dann auch nicht mehr wundern, wenn fremde Männer kommen und ungehindert „unsere“ Frauen überwältigen. Das hätten wir nun vom Feminismus und von der Einwanderungspolitik. So die Argumentation.

Oder so: Wir sind die guten, die unsere Frauen achten. Die sind die schlechten, die ihre Frauen unterdrücken. Das ist kulturell so. Deswegen müssen die dort drüben bleiben und wir unter uns. Sonst importieren wir das Unheil und die Gewalt. Ist klar.

Gewalt gegen Mädchen und Frauen interessiert also, solange sie vom fremden Außen kommt. Welche deutsche Frau auf dem deutschen Oktoberfest von deutschen Männern überwältigt wurde interessiert nicht. Welches deutsche Mädchen im deutschen Haushalt vom deutschen Vater überwältigt wird interessiert auch nicht. #metoo sei hysterische Kackscheiße und Alltagssexismen seien total überbewertet. Gewalt gegen Mädchen und Frauen interessiert Rechte nur dann, wenn sie rassistisch aufgeladen und instrumentalisiert werden kann. Frauen und Mädchen werden zum Argumentationsfutter für Rassismus.

Aber auch da, wo nicht unbedingt rechts gedacht wird, wird Gewalt gerne „dort drüben und bei denen“ verortet, statt „hier und bei uns“.

Ein internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen lädt dazu ein sich damit zu beschäftigen, wie die Politik, die hier gemacht wird, die Waffen, die von hier aus verkauft werden, die Unternehmen, die von hier aus geführt werden, international zu Gewalt an Mädchen und Frauen beitragen. Das ist sinnvoll. Ein internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen eignet sich leider auch dazu die Gewalt „international“- also dort drüben, bei denen, in deren Praktiken, in deren Elend zu sehen, aber doch nicht bei uns. In manch einer liberalen Familie wird vielleicht Geld an terres des femmes oder an Unicef gespendet während zeitgleich die eigene Tochter innerfamiliär Gewalt erfährt. Eine Gewalt, die dann damit verleugnet oder gerechtfertigt wird, dass das ja wohl im Vergleich zu dem was die Mädchen in Land X oder vor Y Jahren mal erleben mussten nicht „wirklich“ Gewalt ist. Gewalt ist immer wo anders, und wann anders – scheinbar.

Welche Gewalt für wen?
Wer sich mit dem Thema beschäftigt, stößt bald auf vielfältige Definitionen. Strukturell, institutionell, interpersonell…. Das klingt sehr kompliziert und wird sehr philosophisch intellektuell, dabei ist die Sache für die meisten von uns intuitiv leicht zu verstehen, entspricht das doch unserer alltäglicher Lebenserfahrung:

Gewalt entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern ist verkankert in den (gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen) Zusammenhängen, die das Entstehen dieser Gewalt begünstigen, rechtfertigen, die Gewalt unsichtbar machen, weil wir so daran gewöhnt sind. Zusammenhänge, die dafür sorgen, dass manche mit ihrer Gewalt ungestraft durchkommen, und andere nicht. Zusammenhänge, die gerade uns – mit unserem jeweils individuellem Gemenge an Benachteiligungen und Privilegien anfällig machen gerade diese Art von Gewalt zu erfahren, aber vor jener schützen. Die gerade uns den Zugang zu Schutz und Recht ermöglichen, oder verwehren. Die gerade uns Erholung von dieser Gewalt ermöglichen- oder eben nicht.

Gewalt ist also durch Ideologie und wirtschaftliche Verhältnisse begründet und mit diesen verwoben. Die Art der Erfahrung ist abhängig von sozialen und kulturellen Zuschreibungen. Im hier angesprochenen Fall von Gewalt gegen Frauen* sind unter anderem gelebtes und bei Geburt zugeschriebenes Geschlecht*, Begehren*, Behinderung*, Statur*, Armut* und Hautfarbe* entscheidend. Dabei geht es nicht um objektive Faktoren, sondern Zuschreibungen von außen, die der Stern * als solche kennzeichnen soll.
Wir wissen auch: Erlebte Gewalt endet nicht mit der Gewalt, sondern hat Folgen, hat ein Nachspiel. Gewalt führt oft zu Benachteiligung, Ausschlüssen und allzuoft zu mehr Gewalt.

Ein Beispiel: Meine Gewalterfahrungen verstören mich, rauben mir Schlaf, Mut und Konzentration, stressen mich. Ich kann weniger gut lernen, ich werde weniger leistungsfähig, ich tue mich schwerer mit den Mitmenschen. In der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft wird mir das zum Nachteil. Denn von mir wird leistungskräftige Kreativität, ein sozial kompetentes, ausgeglichenes „Wesen“ und zielgerichtete Eigeninititative verlangt. Und schon bin ich anfälliger, verletzlicher, weniger geschützt. Ich habe weniger Geld. Ich bekomme weniger Respekt. Ich bin möglicherweise auf die besonders gefährlichen Lohnarbeiten angewiesen, die mit wenig Lohn und Arbeitssicherheit verbunden sind. Oder prekären Jobs bei denen ich nie weiß, was nächsten Monat ist und ich bei der Arbeit routiniert entwürdigt werde. Die Dinge, die ich tue, um mit der erlebten Gewalt zurecht zu kommen, können mich zusätzlich als mangelhaft markieren. Vielleicht werde ich an meinen Erfahrungen krank und muss mich in den zersetzenden Regeln des Krankenstandes zurechtfinden. Vielleicht werde ich an meinen Erfahrungen erwerbsunfähig – mit allen sozialen Konsequenzen. Bin ich für andere mitverantwortlich, leiden auch diese unter meinem Leid. Und so führt das eine zum anderen. (Jede* kann diese Geschichte mit ihren eigenen Beispielen abändern oder ausschmücken, oder mit zehn weiteren Geschichten aus dem eigenen Umfeld ergänzen.)

Das Zusammenspiel von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Macht und Gewalt bedeutet aber auch: Manche Mädchen* und Frauen* werden häufiger Zielscheibe von Gewalt und werden bei Gewalt weniger beschützt. Die Mechanismen hängen eng zusammen.

– Einer Frau, die trans* ist z.B. wird oft der Zugang zu Hilfsangeboten für Frauen* – zum Beispiel eine Flucht in ein Frauenhaus – verwehrt. Im Kontakt mit Institutionen und Initiativen, die Hilfen anbieten, erlebt sie Ausschlüsse, Demütigungen und ggf. weitere Gewalt.
– Eine Frau*, die geflüchtet ist, ist sprachlich und sozial isoliert, Zugang zu Hilfen sind ihr bürokratisch oder finanziell oft verwehrt.
– Wenn Frauen* mit Behinderung* ermordet werden, werden diese Morde in der Berichterstattung oft anders verarbeitet als andere Morde, mit Mitgefühl für die Mörder nämlich oder Respekt, mit der Annahme der Mord sei eine Erlösungstat gewesen. (*Behinderungen sind ebenso abhängig von verschiedenen Faktoren und von der Gesellschaft abhängigen Zuschreibungen. Dazu gehören medizinische Möglichkeiten, Abforderungen im Berufsleben oder in der Schule.)
– Frauen* mit Behinderung erleben besonders häufig sexuelle Gewalt. Sie sind 2-3 mal mehr gefährdet als Frauen* ohne Behinderung. Der Zugang zu Hilfsangeboten ist vielfältig erschwert. Wie schwer ist es für eine Frau* mit Behinderung* sich Hilfe zu holen, die im häuslichen Umfeld gepflegt und zugleich vergewaltigt wird und keinerlei Kontakte außerhalb der Familie hat?
– Viele Frauen* sind Rassismus ausgesetzt, und erleben rassistische Gewalt. Hilfsangebote für Frauen*, die Gewalt erleben, richten sich oft an weiße*, bedenken diese Form der Gewalt nicht mit. Sie werden dann mit ihren Verletzungen im Stich gelassen oder ihnen wird unsensibel begegnet.

Dies ist eine unvollständige Beispielssammlung.

Der Punkt ist der: Vielfältige Herrschaftsstrukturen bilden den Kontext für die Gewalt, die Mädchen* und Frauen* erleben. Sexismus ist nur eine davon.

Wir alle sind verletzlich. Wir möchten nicht übergriffig behandelt werden. Von diesem Schrecken und von diesem Wunsch wollen wir uns leiten lassen. Was unterdrückt muss an der Wurzel gepackt werden. Wir wollen das nicht, wir wollen das anders haben. Alternativen müssen wieder denkbar werden. Wir wollen ein gutes Leben für alle, ohne Unterdrückung, ohne Herrschaft, ohne Gewalt. Bis wir da angelangt sind muss es auch gegen Unterdrücker*innen durchgesetzt werden.

Quellen:
https://kleineanfragen.de/bundestag/19/4059-geschlechtsspezifische-toetungen-an-frauen-femizide-in-deutschland Kleine Anfrage an den Bundestag zum Thema Femizid

http://www.un.org/womenwatch/daw/news/vawd.html Resolution 54/134