Frauenkampftag; Abtreibungen

Wir haben heute am Frauenkampftag ein Transparent auf der Eisenbahnbrücke zwischen Ulm und Neu-Ulm aufgehangen. Damit wollen wir auf das Thema der Schwangerschaftsabbrüche aufmerksam machen und beitragen zu den internationalen Protesten am heutigen Tag.

„Feminismus hat doch keine Relevanz mehr. Frauen* sind doch Männern* gegenüber inzwischen gleichberechtigt. Immer mehr Frauen* sind an den Universitäten. Sogar mehr als Männer*. Was soll das alles also?“ – Nur eine kleine Zusammenstellung an Aussagen, die uns im Bezug auf Feminismus zu Ohren gekommen sind. Dabei sind wir gerade mal am Anfang und noch lange nicht am Ende des Prozesses. Und da wollen Menschen uns weiß machen, dass doch alles schon ganz toll ist, wie es ist, wir einen weiten Weg gekommen sind und dass Gleichberechtigung einfach als erledigt abgehakt werden könnte.
Naja, wenn wir von Ulm nach Hamburg möchten und in Göppingen am Bahnsteig hängen bleiben, sagen wir ja auch nicht: „Dann bleib wir halt hier. Ist ja auch ganz nett hier.“

Gerade bestand die Möglichkeit die Gesetzgebung zu Abtreibungen zu reformieren und endlich eine wirkliche körperliche Selbstbestimmung der Frau* zu ermöglichen. Es wurde über das Informationsverbot für Abtreibungen debattiert, der Paragraph §219a des StGB, aufgrund dessen Ärzt*innen verklagt worden waren, die auf ihren Internetseiten über Schwangerschaftsabbrüche informierten. Doch das ist leider dank CDU und SPD gescheitert. Anstatt die §218 und §219a endlich aus dem Gesetz zu streichen, wird nun die Möglichkeit für Ärzt*innen ihre Patient*innen uneingeschränkt informieren zu können letztendlich weiterhin untersagt. Also haben Frauen* weiterhin nicht die Möglichkeit sich sachlich über Abtreibungen im Internet zu informieren.

Sie landen im Zweifel auf Seiten strikter Abtreibungsgegner*innen, die gerne mal Abtreibungen schlimmer einstufen als den Holocaust. Besonderen Dank gilt deshalb auch unserem Gesundheitsminister Spahn, der eine Studie zum Thema „Post-Abortion-Syndrom“, psychische Folgen einer Abtreibung bei Frauen* in Auftrag gegeben hat. Eine Geldverschwendung sondergleichen, weil es zu dem Thema schon ausreichend Studien gibt, weil es denen nach kein „Post-Abortion-Syndrom“ gibt, weil dieser Begriff von radikalen Abtreibungsgegner*innen geprägt worden ist.[¹]

Herr Spahn, ein kleiner Tipp, nur weil einem Ergebnisse bestehender Studien nicht gefallen, bringt es nichts eine neue Studie zum Thema zu starten, bis einem das Ergebnis passt. Diese Vorgehen ist höchst unsachlich.

Darüber hinaus fehlen sachliche Informationen von Ärzt*innen, die auch wirklich Abtreibungen durchführen. Darüber wie es geschieht, was die Risiken und Nebenwirkungen sind, welche Methoden es gibt und welche in der entsprechenden Praxis durchgeführt wird. Nur so hat Frau* die Möglichkeit sich umfassend zu informieren und eine unabhängige Entscheidung zu treffen. Stattdessen ist es Ärzt*innen nun ausschließlich erlaubt, über den einfachen Fakt zu informieren, dass bei ihnen Abtreibungen durchgeführt werden können. Für alles weitere haben sie weiterhin Repressionen zu befürchten. Das lernen angehende Ärzt*innen innerhalb von 10 min in ihrem sechsjährigen Studium. An Papayas lernen junge Medizinstudent*innen in ihrer Freizeit in freiwilligen Kursen, die von Frauenärzt*innen ehrenamtlich abgehalten werden, wie es gehen sollte.[²] Auch in der Fachärzt*innenausbildung wird das Thema Schwangerschaftsabbruch nicht zwingend behandelt. Kein Wunder also, dass nur ein Bruchteil der Frauenärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführt.

Ein Schwangerschaftsabbruch gilt in Deutschland immer noch als illegal und ist bloß bis zur zwölften Woche und unter bestimmten Voraussetzungen als straffrei.
Das ist ein Gesetz, das aus Zeiten stammt, wo es dem Mann noch erlaubt war, seine Frau* zu schlagen und zu vergewaltigen. Sie ausschließlich für die Erziehung und Hausarbeit vorgesehen und ohne Mann* nichts galt.

Im Vergleich dazu seien wir schon einen weiten Weg gekommen, heißt es immer wieder, doch dabei darf man eines nicht vergessen: Jeder Millimeter wurde hart erkämpft. Die Frauen*, die kämpften – für das Wahlrecht, für die sexuelle Selbstbestimmung, für Gesetzesänderungen – wurden dafür diffamiert, ausgegrenzt, mit Gewalt und Repression bestraft und lächerlich gemacht. Niemals dürfen wir der Illusion verfallen „die Gesellschaft“ hätte sich halt einfach so „weiterentwickelt“.

Weiterhin werden alle jungen Menschen nach der Geburt in eine von genau zwei Geschlechterkategorien zugewiesen und angehalten danach zu leben, teilweise unter erheblicher Anwendung von Gewalt. Immer noch sind in dieser Ordnung Frauen* in der benachteiligten Position. Dies wird weiterhin auf allen Ebenen der Gesellschaft verankert. Nach wie vor sind Arbeit, Macht und Geld zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt. Die Werbe- und Unterhaltungsindustrie ist voller unrealistischer, sexualisierter Frauenbilder. Sexuelle Belästigung zählt immer noch als etwas, womit eine reife Frau*, welche „mit sich und ihrem Körper im reinen ist“, selbstbewusst ertragen oder kontern können sollte. Durch Sexismus und sexuelle Gewalt bei Frauen* verursachtes Leid wird der Charakterschwäche oder dem „fehlenden Selbstbewusstsein“ oder der „Opferhaltung“ der Frau* zugesprochen, also ungerecht individualisiert.

Niemals dürften wir annehmen, dass Männer*, oder so etwas abstraktes wie „der Fortschritt“ diese Veränderungen erwirkten oder erlaubten. Nein, jede Entwicklung ist das Ergebnis von realen und harten Kämpfen. Und jede Entwicklung könnte zurückgenommen werden, und ist, offen oder verdeckt, weiterhin umkämpft. Diese Kämpfe gilt es zu erinnern und zu ehren und fortzuführen. Vor allem gilt zu berücksichtigen, dass die Errungenschaften auch nicht für alle gelten und das männliche Privileg weiterhin vorherrscht. Viele Frauen* können arbeiten gehen, weil sie Frauen* aus Osteuropa o.ä. für Carearbeit bezahlen oder die Oma* oder Nachbarin* einspringt.

Wir sind dafür, effektive Maßnahmen umzusetzen, damit die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche reduziert wird und vor allem dafür den Wunsch der Frau* und Ihre Selbstbestimmung an erste Stelle setzten. Ein Verbot oder ein erschweren hält Menschen nicht vom Abtreiben ab, sondern treibt sie schlimmstenfalls in die Illegalität.[³] „Es muss übrigens darauf hingewiesen werden, dass die Gesellschaft, die so heftig bestrebt ist, die Rechte des Embryos zu verteidigen, sich um die Kinder nicht kümmert, sowie sie auf der Welt sind.“[³]

Deshalb schließen wir uns der Forderung für die Abschaffung von Paragraphen 218 und 219a an.

Stattdessen sind wir für verstärkte sexuelle Aufklärung und günstigere Verhütungsmittel. Warum wohl das die Abtreibungsgegner*innen nicht fordern, ganz so als gehe es Ihnen nicht um die betroffenen Frauen* sondern um eine religiöse oder anders geartete Ideologie.

Lasst uns weiter kämpfen, für eine Gesellschaft abseits von sexistischer Unterdrückung!

PS: Grüße gehen raus an die „Kamerad*innen“ der Identitären „Bewegung“, die zuvorkommender Weise Aufhängungen an der Brücke installiert und auch an die Stadt Neu-Ulm, die davon abgesehen hat, die Aufhängung zu entfernen.

* Geschlecht entsteht aus einem sozialen Zusammenhang und wird durch Zuschreibungen, Selbstidentifikation und Zwang hergestellt und aufrechterhalten. Dabei sind die Kategorien veränderlich (sowohl historisch, als auch bei Individuen), ineinander übergehend/überlappend. Als Frau* sind alle gemeint, die sich als solche idenifizieren oder identifiziert werden, was nicht miteinander übereinstimmen muss. Zur jetzigen Patriachealen Struktur gehört auch die Norm der Zweigeschlechtlichkeit, also Mann / Frau. Dem entspricht die Realität natürlich nicht, worauf hier aber nicht vertiefend eingegangen werden kann. Auch ist zu vermerken, dass nicht nur Frauen* Schwanger werden können.

[¹] „https://www.apabiz.de/2019/auf-druck-von-rechts-schaedliche-studie/“
[²] „http://www.taz.de/!5502618/“
[³] Simoe de Beauvoir, Das andere Geschlecht
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„Feminismus allgemein“
„Ausbrechen statt aushalten“