Prozessende des antiziganistischen Mordversuchs

Im Prozess wegen des antiziganistischen Fackelwurfs in Dellmensingen fiel heute folgendes Urteil:    Alle 5 Angeklagten werden von der Kammer für schuldig befunden für Nötigung in 45 Fällen mit rassistischem, „antiziganistischen und fremdenfeindlichen Motiv“. Ob eine Tötungsabsicht vorlag, konnte nach Ansicht der Kammer nicht bewiesen werden. Die Angeklagten werden alle nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die einzelnen Urteile lauten

Leo B.  1 Jahr 4 Monate auf Bewährung

Robin D. 1 Jahr auf Bewährung

Dominik O. 1 Jahr 4 Monate auf Bewährung

Julian F. 10 Monate auf Bewährung

Die Bewährungsdauer liegt bei je 2 Jahren.

Maximilian P. die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe wurde Ausgesetzt auf Bewährung (1,5 Jahre). Sprich: Solange Maximilian P. sich nichts zu schulden lassen kommt, ergeht keine Strafanordnung. Im anderen Falle käme es zu einem Nachverfahren ( §27 JGG). 

Zudem müssen alle Angeklagten einzeln mit einer pädagogischen Begleitung und der Bewährungshelfer*in eine KZ Gedenkstätte besuchen. Darüber müssen sie einen Bericht verfassen. Alle außer Robin und Maximilian müssen jeweils 1200 € an die Hildegard-Lagrenne-Stiftung zahlen. Die Auslagen der Nebenklägerin sind von den Angeklagten zu tragen. Die Verfahrenskosten trägt der Staat. 

Die Kammer benannte eindeutig das menschenverachtende Gedankengut als einziges Tatmotiv. Auch bis jetzt gibt es bei mindestens vier „keine Einsicht, dass diese Taten und Einstellungen über das hinausgehen,was die Meinungsfreiheit beinhaltet.“ Dabei wurde aufgezählt, dass z. B. Fußball und die damit verbundene Faszination für Gewalt weiterhin eine Rolle in den Leben der Nazis spielen. Diese bewegen sich auch weiterhin im selben Freundeskreis. 

Wir kritisieren, dass keine Stadionverbote verhängt wurden. Die Hooliganszene, in der sich ein Teil der Angeklagten nachweislich auch nach ihrer Entlassung noch bewegen, ist geprägt von extrem rechten Personen und Gewalt. Stadionverbote wären eine Möglichkeit gewesen die Angeklagten zu mindest ein wenig von diesem Resonanzraum und Aktionsfeld von Rechten fernzuhalten. Nun wäre es am SSV Ulm die verurteilten Nazis (und alle anderen Nazis?) aus ihrem Stadion zu schmeißen!

Wir stehen der Institution Gefängnis kritisch gegenüber und glauben nicht, dass die Haft irgendetwas am Gedankengut der Täter bewirkt hätte. Das zeigt auch die 10-monatige U-Haft einiger der Angeklagten, welche keine wirkliche Veränderung erwirkte. Andererseits ist es deutlich, dass im deutschen Rechtsstaat seit Jahrzehnten Nazis zum einen selten angeklagt zum anderen in der Regel zu verhältnismäßig geringen Strafen verurteilt werden. Dies schafft ein Umfeld, in dem Rechte keine oder geringe Konsequenzen fürchten müssen. Außerdem sehen wir auch eine Bedrohung, die von den Tätern nun wieder ausgeht, da sie sich auf freiem Fuß bewegen. Die fünf Täter haben zu mindest billigend in Kauf genommen, dass der Wohnwagen in Flammen aufgeht, als sie die Fackel darauf warfen. Auch wenn das Gericht dies nicht als bewiesen ansieht. Sie fielen immer wieder durch ihre Gewalt und Impulsivität auf. Selbst vor Gericht viel es ihnen sichtlich schwer ihre Impulse unter Kontrolle zu behalten. Deswegen glauben wir nicht, dass die Bewährung sie davon abhalten wird in nächster Zeit erneut gewalttätig zu werden. Spätestens nach Ablauf der zwei Jahre Bewährung wird es wohl früher oder später wieder zu einem Gewaltausbruch kommen. 

Die Nebenklage und der Landesverband der Sinti und Roma Baden Württemberg begrüßten die klare Benennung des rassistischen, antiziganistischen und menschenverachtenden Tatmotivs. (1)

Sie betonen, die Betroffenen wären ab dem ersten Tag an Drohungen und Anfeindungen ausgesetzt gewesen, die ein Klima der Angst erzeugten. Schließlich verließen sie deswegen vorzeitig den angemieteten Platz. Dabei handele es sich nicht um ein einmaliges Ereignis in ihrem Leben. Immer wieder sähen sich Sinti*zze und Romn*ja Anfeindung, Drohungen und Ausgrenzung ausgeliefert. Antiziganistisches Gedankengut, als Sonderform des Rassismus ist in Europa die am meisten verbreitete menschenfeindliche Denkweise, über die zugleich kaum geredet wird. Selbst in Deutschland ist das der Fall. Hier teilen um die 50 Prozent der Bevölkerung dieses Denken. Auch im als rechts bezeichnetem Dorf Dellmensingen gab es nicht nur von den Angeklagten feindselige Bekundungen nach der Ankunft der Gruppe.

Die Taten der Angeklagten lassen ahnen, zu was Antiziganismus, aber auch Rassismus, und jegliche Form der menschenverachtenden Ideologien führen können. Wir sahen es in Hanau. Wir sahen es in Halle. In Dellmensingen. Aber auch in Ulm in der Schaffnerstraße. 

Das heutige Prozessende ist für uns keineswegs das Ende der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Antiziganismus in Ulm. Das gilt für den Fußball, für die Stadtkultur, aber auch für politische Gruppen.

Solidarität gilt den Betroffenen rechter Gewalt. Denn nur Gemeinsam lässt es sich den Tatsachen entgegenstellen. Gerade deswegen war die Eröffnung der Beratungsstelle für Sinti und Roma gestern in Ulm ein wichtiges Ereignis. Wir wünschen viel Erfolg für ihre Arbeit. 

 

(1) http://www.roma-service.at/dromablog/

One thought on “Prozessende des antiziganistischen Mordversuchs”

  1. Auch wenn eine Gefängnisstrafe eine Gesinnung wahrscheinlich nicht ändert, so dient sie dennoch der Abschreckung. So aber ist die Bestrafung zu milde, alle sind auf Bewährung frei.

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