Der kommunistische Anarchismus (6)

Der letzte Teil, ihr habt es geschafft :)

Nach solcher Feststellung wird es einleuchten, dass eine schließlich prinzipielle Verständigung zwischen den sozialdemokratischen und den anarchistischen Kommunisten kein Ding der Unmöglichkeit ist. Unsere Stellung gegenüber den ersteren kann also keine feindliche sein, ja, sie ist es gar nie gewesen, obgleich es den Anschein haben mag, als hätte man es bisher mit dem strikten Gegenteil zu tun gehabt. Diese letztere, sehr beklagenswerte Auffassung der Dinge verdankt man wesentlich dem Umstand, daß die Streitigkeiten, welche zwischen diversen Personen innerhalb der fortgeschrittenen Arbeiterbewegung sich entwickeln, wie das ja im öffentlichen Leben niemals ganz vermeidlich ist, viel zu sehr zur Parteisache auffaßte und in der Masse dementsprechend behandelte. Verschärft wurde dieses Missverhältnis noch dadurch, daß sich innerhalb der kommunistischen Parteien, wie bei jedem Parteileben, allerlei Demagogen einzunisten wußten, die es verstanden, förmliche Verderber der ganzen Bewegung zu werden, und die infolgedessen wohl oder übel von den einsichtigeren Elementen auf das Entschiedenste bekämpft werden mußten, welchen Kampf jedoch die Massen leider nicht immer sogleich verstanden und zu würdigen wußten. Durch teilweise falsche Stellungnahme der letzteren wurde unsäglich viel Unheil angerichtet und heute noch ist diese Misere da und dort in vollem Gange. Aber, um zur Hauptsache zurückzukommen – mit den eigentlich prinzipiellen Streitpunkten der verschiedenen Spielarten des Kommunismus haben alle diese Dinge wenig oder gar nichts zu schaffen.

Hinsichtlich der Taktik, welche die verschiedenen kommunistischen Parteien in Anwendung bringen zu müssen glauben, um zum Ziele zu gelangen, scheint es stärker zu hapern. Da wird von Friede und Gesetz auf der einen und von Revolution auf der anderen Seite – vom Stimmkasten als Erlösungsmittel hier und von der Propaganda der Tat da gesprochen; und ein hitziges Gefecht ist unter den feindlichen Brüdern wegen dieser Kampfesmethoden beständig in vollem Gange.

In dieser Beziehung haben wir gezeigt, daß der Streit, ob Revolution oder nicht, eigentlich ein recht kindischer sei, indem nicht nur die Logik der Geschichte, sondern mehr noch die Haltung der herrschenden Klassen gegenüber allen und jeden Bestrebungen der Arbeiter eine friedliche Lösung der sozialen Frage völlig ausschließe. Der ganze diesbezügliche Streit ist daher opportunistischer Natur; und weil sich die Bourgeoisie keineswegs durch irgend welche Vorstellungen und sanfte Redensarten über die Natur der proletarischen Klassenbewegung täuschen läßt, so ist auch die ganze Opportunitätspolitik innerhalb der Arbeiterbewegung bereits zu Schanden geworden. Sie wird früher oder später aufgegeben werden müssen, und was zurückbleibt, das ist selbstverständlich die revolutionäre Taktik.

Was speziell die Stimmkästnerei (Wahlbeteiligung, Anm.)anbelangt, so kann man dieselbe von vornherein nur als ein agitatorisches Experiment auffassen. Dasselbe hat sich nicht bewährt. Es führte die Massen auf Abwege der Nebensächlichkeit und Oberflächlichkeit und viele gute Kräfte in allerlei Versuchungen, denen sie nicht immer zu widerstehen vermochten. Mancher gute Revolutionär ist durch seine Teilnahme am Parlamentarismus und durch seine Berührung mit den Parlamentariern total verdorben worden. Wir Anarchisten sind daher dafür, daß man sich mit der Wählerei nicht befasse, sondern stets und ständig rein prinzipielle Propaganda mache und dabei gerade Wege wandele.

Wenn wir auf der anderen Seite die Überzeugung hegen, daß durch eine revolutionäre Tat mitunter mehr Propaganda gemacht werden kann, wie durch hunderte von Agitationsreden und tausende von Broschüren oder Zeitungen, so sind wir noch lange nicht der Meinung, daß jede beliebige Gewalttat, verübt an irgend einem Repräsentanten oder Beschützer der herrschenden Klasse, eine solche Wirkung haben werde. Wir werden vielmehr nie müde, zu erklären, daß nur die richtige Tat am rechten Ort und zur passenden Zeit einen solchen Effekt haben könne; und es fällt uns gar nicht ein, die nächsten besten dummen Streiche, wenn sie auch in guter Absicht von revolutionär gesinnten Leuten ausgeführt wurden, unbesehen gutzuheißen.

Im übrigen ist ja die Propaganda der Tat ohnehin keineswegs ein ausschließliches Steckenpferd für uns geworden, das wir beständig reiten und über welchem wir jede sonstige Propaganda vergessen. Wir wirken durch Wort und Schrift, wo und wie wir nur immer können. Wenn wir uns einerseits nicht der Illusion hingeben, daß man erst das ganze Proletariat aufklären müsse, ehe es berufen sei, die Schlachten der sozialen Revolution zu schlagen, so mißkennen wir andererseits nicht im geringsten, daß man wenigstens in Bezug auf mündliche und Drucksachenagitation tun müsse, was nur irgend möglich ist. Gleich unseren sozialdemokratischen Parteiverwandten betreiben wir also Aufklärung so gut wir können, wenn wir uns auch dabei nicht verhehlen, daß ein möglichst kräftiger Ton angeschlagen und das Salz der Aufreizung beigemischt, die Verwässerung der Abwiegelung vermieden werden müsse, wenn der gewünschte Erfolg erzielt werden soll. Haben unsere Stiefbrüder in dieser Beziehung mitunter allerlei ‚wissenschaftliche‘ Seitensprünge und Einschläferungen sich zu Schulden kommen lassen, so wird sie der dabei erzielte Mißerfolg alsbald wieder zum richtigen Takt veranlassen, wie er in allen sozialistischen, resp. kommunistischen Bewegungen von Hause aus angeschlagen wurde.

Unter allen diesen Umständen scheint uns – zwar keine augenblickliche Verschmelzung, wohl aber eine Art Aneinander-Gliederung der sozialdemokratischen und anarchistischen Kommunisten denkbar und möglich zu sein. Eine solche müßte in der Bekämpfung des gemeinsamen Feindes ausgezeichnete Früchte tragen. Ist der gute Wille beiderseitig zu einer solchen Vereinbarung da, so wird sie auch bald genug ins Leben treten. Solange freilich von der einen, wie von der anderen Seite ein förmlicher Parteibeitritt mit dazu gehöriger Programmunterzeichnung verlangt wird, kann in dieser Beziehung nichts erreicht werden. Eine Notwendigkeit zu solcher Dogmenreiterei existiert nicht, vielmehr muß sie gerade vor allem aufhören, wenn es in der angedeuteten Richtung besser werden soll.

„Zerstörung der bestehenden Klassenherrschaft mit allen Mitfein, d.h. durch energisches, revolutionäres und internationales Handeln.“
„Errichtung einer auf genossenschaftlicher Organisation der Produktion beruhenden freien Gesellschaft.“

So oder ähnlich sollte die Devise lauten, unter welcher die Sozialdemokraten und Anarchisten gemeinsam kämpfen. Alles Übrige besorgen jene, welche als siegreiche Revolutionäre an den Aufbau der freien Gesellschaft gehen können.

Johann Most

Fußnoten:
(1) Benjamin Tucker ist ein Vertreter der Individualanarchistischen Strömung

Aus: Johann Most – Kommunistischer Anarchismus; Verlag Edition AV. Die Broschüre ist bei FAUMAT und anderen anarchistischen Vertrieben erhältlich.

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