Privater Autobahnbetreiber verklagt BRD auf 640 Millionen Euro – wegen zu geringer Gewinne. Verkehrsminister unbelehrbar
Das Geld für Spekulanten liegt buchstäblich auf der Straße. Die Bundesregierung hat Investoren durch die Gründung einer Infrastrukturgesellschaft Tür und Tor geöffnet. Private Investoren können sich künftig über öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) Autobahnen aneignen. Haften wird dafür der Staat. Was Privatisierungsgegner seit Monaten anmahnen, hat sich bewahrheitet. Die Gewinnmargen für das Vorzeigeprojekt der sechsspurigen Hansalinie zwischen Bremen und Hamburg sind nicht hoch genug.
In nur vier Jahren war das Prestigeprojekt 2012 fertiggestellt worden. Über mehr als 70 Kilometer und auf sechs Spuren können Autofahrer von der Weser zur Elbe sausen. Doch weil wegen der Wirtschaftskrise seit 2007 die Einnahmen aus der Lkw-Maut deutlich geringer ausfielen als zuvor kalkuliert, sieht sich die Betreibergesellschaft einer »existenzbedrohenden Situation« ausgesetzt. Deshalb hat das Konsortium A1 Mobil der Bundesregierung eine saftige Rechnung ausgestellt: 640 Millionen Euro verlange die Gesellschaft seit Montag von der Bundesrepublik Deutschland, berichtete die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist als Geisterfahrer unterwegs. Trotz des Millionengrabs, das er selbst ausgehoben hat, setzt er weiter auf den Ausverkauf des Staates. Neben dem Abschnitt auf der Bundesautobahn 1 (A1) hat er bereits weitere fünf Strecken für ÖPP-Gesellschaften freigegeben. Darüber hinaus sind sieben Projekte »angestoßen«, berichtete die SZ. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums erklärte am Mittwoch auf jW-Anfrage: »Die Vergabe von ÖPP-Projekten erfolgt auf Basis solider und detaillierter Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen.« Nur wenn ein ÖPP-Projekt »für den Bund mindestens ebenso wirtschaftlich« wie eine konventionelle Beschaffung sei, werde es realisiert. Dobrindt bleibt dabei: »ÖPP-Projekte sind ein gutes und sinnvolles Instrument im Bundesfernstraßenbau.«
Für den Minister hagelte es am Mittwoch Kritik. Laura Valentukeviciute, Vorstandsmitglied des Vereins »Gemeingut in Bürger(innen)hand« erläuterte, der Staat mache sich »erpressbar«, wenn er öffentlich-private Partnerschaften eingehe. Die Privaten könnten, wenn sie wollen, den Autobahnabschnitt faktisch stillegen. Der Staat werde eine Schließung aber kaum zulassen. Dobrindt müsse von der drohenden Insolvenz sicher schon im Juni gewusst haben, als Bundestag und Bundesrat die privaten Autobahngesellschaften ins Grundgesetz aufnahmen. Denn neben dem »Drohbrief« von A1 Mobil laufe seit einiger Zeit auch ein Schlichtungsverfahren. Ihr Vereinskollege Carl Waßmuth erklärte, es sei »ein Ammenmärchen«, dass die Wirtschaftskrise von 2008 die drohende Insolvenz bewirkt habe. Ferner sei A1 Mobil »wie alle ÖPP-Projektgesellschaften von Anfang an extrem eigenkapitalschwach« gewesen. Die Investoren hätten die Betreibergesellschaft »jederzeit finanziell trockenlegen« können. »Jetzt scheint ihnen die Gelegenheit für einen riesigen Nachschlag günstig.«
Der Hamburger Abgeordnete im EU-Parlament Fabio De Masi (Die Linke) verwies außerdem darauf, dass die Privatisierung von Autobahnen von der EU-Kommission gefördert werde. Sie sei ein Element des Juncker-Plans EFSI. Demnach sollten Banken und Versicherungen »offensichtlich im Umfeld niedriger Zinsen eine Renditegarantie erhalten«. Die Infrastruktur gehöre »in öffentliche Hand, nicht zu Deutscher Bank und Allianz«, so De Masi.
Artikel von https://www.jungewelt.de[…]