Spätestens seit der Frankfurter Buchmesse und den Ereignissen rund um die Veranstaltungen eines neurechten Verlags wird wieder darüber gesprochen, ob eine Debatte mit Rechten erwünscht oder gar machbar ist. Der folgende Text nimmt sich dieser Frage an und diskutiert, wie und in welchen Fällen ein Gespräch mit Rechten möglich ist. Ein Gastbeitrag von Alice Blum, Maximilian Pichl und Tom David Uhlig.
Die Vorfälle auf der Frankfurter Buchmesse haben erneut die wichtige Frage aufgeworfen, wie man strategisch mit der rechten Szene, und insbesondere mit den Akteur_innen der sog. Neuen Rechten umgehen sollte. Dort hatten Aktivist_innen gegen Veranstaltungen eines Verlags aus dem Spektrum der Neuen Rechten lautstark protestiert, sodass am Ende eine Veranstaltung abgebrochen werden musste. Die Strategie, rechte Akteure auszugrenzen, offensiv gegen sie zu demonstrieren, wird derzeit im öffentlichen Diskurs stark kritisiert. Es handele sich dabei um eine Verletzung der Meinungsfreiheit, man müsse die Rechten im Rahmen von Diskussionen stellen, sie argumentativ konfrontieren und zu Vereindeutigungen über ihre Ideologie und Positionen zwingen.
Wir halten demgegenüber an der Strategie fest, Akteur_innen der Rechten und der Neuen Rechten nicht ohne lautstarken Widerspruch öffentliche Räume zu überlassen, nicht mit ihnen öffentlich zu diskutieren und ihnen keine Gelegenheit zu geben, sich vor einem Publikum zu erklären. Wir möchten in diesem Beitrag einige strategische Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit der Neuen Rechten reflektieren.
Kampf um den vorpolitischen Raum
Die Neue Rechte unterscheidet sich von der alten Rechten weniger durch ihren Inhalt, als durch ihre Strategie. Sie will im vorpolitischen Raum, d.h. in den Medien, in der Kunst, auf den öffentlichen Plätzen, eben auch auf den Buchmessen, eine Deutungshoheit erringen und demokratische Räume besetzen. Ihr Ziel ist es kulturelle Hegemonie zu erlangen. Dabei folgen sie absurderweise einem Konzept des marxistischen Theoretikers Antonio Gramsci, der unter dem italienischen Faschismus eingekerkert wurde und mit dem Kampf um Hegemonie gerade Handlungsmöglichkeiten für eine emanzipatorische Politik ermöglichen wollte. Kulturelle Hegemonie im Sinne der Neuen Rechten heißt in allen möglichen gesellschaftlichen Einflusssphären präsent zu sein und den öffentlichen Diskurs weiter nach rechts zu verschieben. Dies betrifft auch die Aneignung und Umdeutung von Begriffen. Diese Strategie ist in Teilen erfolgreich. So sind etwa Begriffe wie „“Flüchtlingswelle“ oder „political correctness“ im Mainstream des Sprachgebrauchs längst angekommen. Das Konzept der Neuen Rechten ist deshalb so erfolgreich, weil es mit minimalem Aufwand eine maximale Öffentlichkeit herstellt. Die Akteur*innen der Neuen Rechten ‚entern‘ Felder, denen bereits ein öffentliches Interesse gilt: Sie stürmen Veranstaltungen, wie Elfriede Jelineks Theaterstücke, auf Podien oder in Hörsäle, sie ‚besetzen‘ Wahrzeichen, sie übernehmen populäre Hashtags auf Twitter oder deuten erfolgreiche Kampagnen für sich um, so wie auf der Buchmesse geschehen.
Die eigenen Positionen schärfen
Der Aneignung öffentlicher Räume durch die Neue Rechte lässt sich unseres Erachtens am effektivsten mit einer klaren Positionierung begegnen. Eine Kampagne, die für mehr Demokratie und mehr Offenheit wirbt, kann gerade wegen ihrer inhaltlichen Unterbestimmtheit zwar anschlussfähig für mehrheitsgesellschaftliche Akzeptanz sein, aber aus denselben Gründen leicht von der Neuen Rechten übernommen werden: Demokratie wird dann einfach umgedeutet in das exklusive Mehrheitsdiktat des Volksentscheids und Offenheit für die völkische Ideologie der Ungleichheit eingeklagt – schon ist aus einer Kampagne politischer Bildung neurechte Propaganda geworden. Die Sache hat jedoch ein Gutes, denn die Neue Rechte zwingt, die eigene Position zu schärfen. Demokratie etwa kann dann nicht mehr eine leere Worthülse bleiben, sondern es muss ausbuchstabiert werden, was damit inhaltlich gemeint ist. Ein Demokratiebegriff, welcher sich gesellschaftlich nicht völkisch versteht, voller Widerstreit, Widersprüchen, Kontroversen, Diskussionen und Vermittlungen steckt, ist vielleicht etwas unhandlicher, kann jedoch auch weniger leicht von denjenigen übernommen werden, die den Streit ums politische Handeln mit dem vorpolitischen Phantasma eines Volkswillens ersetzen möchten. Das gilt im großen Diskurs, aber auch in der direkten Konfrontation: Die Klarheit der eigenen Positionierung muss im konkreten Umgang mit Akteur*innen der Neuen Rechten deutlich gemacht werden. Wenn sich jemand aus der Rechten als diskursfähig darstellt und sich beispielsweise dabei filmen lässt, wie er vermeintlich bornierten Linken ein Gesprächsangebot unterbreitet, sollte das weder als Angebot wahrgenommen und angenommen, noch ausgeschlagen, sondern als unechtes problematisiert werden. Die Strategie lässt sich am ehesten dadurch brechen, indem sie als die Farce denunziert wird, die sie ist.
Die Strategie der Neuen Rechten soll ihren völkischen Charakter verschleiern
Das gilt auch für die Inhalte, welche in der gegenwärtigen Debatte verhandelt werden. Unter den Begriffen, welche die Neue Rechte im politischen Diskurs zu lancieren versucht, lohnt sich insbesondere der Blick auf die Rede von der „political correctness“, einem angeblichen Sprachdiktat, welches verhindere, dass manche Positionen öffentlich geäußert werden können. Ein Kampfbegriff, den völkische Rechte selbst einführten, um sich gegenüber einer vermeintlich verfolgenden Mehrheit als Opfer zu gerieren. Die Täter-Opfer-Umkehr ist dabei ein ganz zentrales Moment der völkischen Rechten. Im Wissen, dass der Schutz von Minderheiten und die Ausübung der Redefreiheit zum grundlegenden Selbstverständnis liberaler Gesellschaften gehören, inszenieren sie sich selbst als Minderheit, deren Redefreiheit eingeschränkt werde. So gelingt ihnen das Kunststück, sich in Talkshows zur besten Sendezeit darüber zu beschweren, nicht genug mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Strategie der Völkischen beruht darauf, die Stärke liberaler Demokratien, ihre Offenheit, gegen die Demokratie selbst zu wenden. Sie fordern Toleranz und Anerkennung für sich ein, um sie schließlich anderen zu verwehren. Das ständige Klagen von rechten Gruppierungen, von einer vermeintlich linken Mehrheit unterdrückt zu werden, dient nur der Verschleierung ihrer eigenen Lust an der Unterdrückung von allen, die anders sind als sie. Die Phantasie eines vermeintlich bevorstehenden Untergangs Deutschlands – wie er von Rechten gegenwärtig immer wieder postuliert wird – gibt den Völkischen das Gefühl einer permanenten Bedrohung, die sie nur durch ‚Gegengewalt‘ abwenden können. Was hier bedroht wird, ist das Gefühl einer kollektiven Identität, einer widerspruchsfreien Zugehörigkeit.
Keine Frage der Meinungsfreiheit
Dieser Verbreitung etwas entgegenzusetzen, sie zu verhindern, halten wir für den einzig richtigen Weg. Die wirksame Störung von rassistischen, völkischen und antisemitischen Veranstaltungen gehört zur Tradition des antirassistischen Gegenprotests, gerade in Frankfurt am Main. Es sei in diesem Zusammenhang nur an das Beispiel erinnert, als die Jüdische Gemeinde im Oktober 1985 die Aufführung des antisemitischen Theaterstücks „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder durch eine Bühnenbesetzung verhinderte. Hier stellten sich Teile des Stadtparlaments – interessanterweise großteils aus dem konservativen Spektrum – hinter die Besetzer_innen. Auch in diesem Fall wurde ein Kampf im kulturellen Bereich ausgefochten. Nun ist eine Strategie nicht deswegen gut, weil sie schon öfter angewendet wurde. Aber die kulturelle Sphäre ist eine genuin öffentliche Sphäre und damit eine der politischen Kämpfe. Und so war auch die diesjährige Buchmesse ein Forum des offensiven Widerstreits, als sich rechte Verlage dort ihre Nester bauten. Denn wer stand auf und vor der Bühne bei der umstrittenen Veranstaltung auf der Buchmesse? Wegen Volksverhetzung und Körperverletzung verurteilte Neonazikader und politische Weggefährten von im NSU-Prozess Angeklagten, Neue Rechte und Konservative. Eine Melange von Rechten, die mindestens den Schulterschuss aus der selbsternannten „Neuen Rechten“ und den Gewaltbereiten zeigt. Dieses Vernetzungstreffen blieb nicht ungestört, sondern wurde mitunter verhindert.
Die aktive Störung antidemokratischer Veranstaltungen ist keine Frage der Meinungsfreiheit, wie es Zeitungsartikel beispielsweise in der Welt oder im Freitag suggerieren. Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht der Bürger*innen, insbesondere gegen den Staat. Auf einer Buchmesse übernehmen die dortigen Demonstrant_innen nicht die staatspolitische Funktion, die Meinungsfreiheit zu garantieren. Sie üben gerade ihr Recht auf Meinungsfreiheit aus, wenn sie mit politischen Parolen ihre Meinung lautstark zum Ausdruck bringen. Die Gegenseite kann im Übrigen auf die gleiche Art verfahren. Auch wenn gerade liberale Akteur*innen diese Form der politischen Auseinandersetzung selbst nicht besonders schätzen, so bleibt sie doch genuin politisch. Jürgen Habermas als Großdenker der Deliberation kritisierte in einem Interview über den Rechtspopulismus von 2016 gerade die extremismustheoretische Absurdität, die im deutschen Diskurs immer wieder auffällig ist: „Sie sollten diese Art von ‚besorgten Bürgern‘, statt um sie herumzutanzen, kurz und trocken als das abtun, was sie sind – der Saatboden für einen neuen Faschismus. Stattdessen beobachten wir immer noch das komische, in der alten Bundesrepublik eingespielte Ritual einer zwanghaften Symmetrisierung, so als müsse man sich, wenn dann doch einmal von ‚Rechtsextremismus‘ die Rede ist, durch den eilfertigen Hinweis auf einen entsprechenden ‚Linksextremismus‘ einer Peinlichkeit entziehen.“ Diese zwanghafte Symmetrisierung lässt sich nun erneut beobachten, wenn zum Beispiel Juergen Boos von der Buchmesse und Alexander Skipis vom Börsenverein unisono die Handlungen von linken und rechten Gruppen gleichermaßen kritisieren.
Teile der Öffentlichkeit übernehmen rechte Narrative
Die Kritik an der Strategie, rechte Akteure zu isolieren, führt dann zuweilen zu der Überlegung, die rechten Akteure in Diskussionen einzubinden und mit ihnen direkt im öffentlichen Raum zu sprechen. Aber über wen oder was reden wir eigentlich? Wie über das Phänomen berichten und diskutieren, ohne nicht gleichzeitig deren Medienstrategie auf den Leim zu gehen? Jeder Bericht über sie vergrößert deren Bekanntheitsgrad. Jeder ausgelassene Bericht über eine ihrer Aktionen oder Veranstaltungen wird von den Rechten als „Lücken-“ oder „Lügenpresse“ verhandelt. Darin drängt sich sogleich ein Dilemma auf – wie man es macht, macht man es falsch. Es ist aber nur ein Dilemma, wenn man der Selbstpräsentation der Rechten folgt.
Wenn in vielen Medien im Anschluss an die Buchmesse zu lesen war, die Demonstration habe der Strategie der Neuen Rechten sich als Opfer zu stilisieren in die Hände gespielt, dann ist möglicherweise nicht die antifaschistische Strategie, sondern die Rezeption der Medien ein Problem. Denn als „Erfolg“ kann die Neue Rechte eine Störung ihrer Veranstaltung nur dann verkaufen, wenn Teile der Medien bzw. des Feuilletons ihren Narrativ auch so bedienen. Man lässt sich damit einfangen von rechten Diskursstrategien, die man doch vermeintlich untergraben und entlarven will. Warum war kaum in den Medien zu lesen, dass Menschen es geschafft haben der Neuen Rechten die Eroberung des öffentlichen Raums streitig zu machen? Aus einer demokratietheoretischen Perspektive, die den Demokratie-Begriff nicht schlicht auf die Regierung der Mehrheit verkürzt, ist es genauso gut begründbar, dass die effektive Störung einer Veranstaltung, die darauf ausgelegt war extrem rechten Kadern den Zugang zum öffentlichen Raum zu verschaffen, als demokratischer Erfolg verbucht wird.
Gut, dieser Vorhang ist gefallen, die Rechten feiern sich, das Theater in Frankfurt hat von verschiedenen Seiten Beifall, Lob und Schelte erhalten. Feiern würden sie sich aber auch, wenn man sie nicht hätte auftreten lassen – dann hätten sie sich zum Opfer der Auseinandersetzung stilisiert und gleichzeitig als mutige Widerstandskämpfer gefeiert. Das hätten sie auch getan, wäre nichts passiert, hätte es keine Gegenproteste gegeben – sie hätten das als Geländegewinn und Siegeszug einer neuen politischen Macht verbucht. So sind sie, die Rechten, sie können auch das Dasein eines Laternenpfahls für sich vereinnahmen und politisch vereindeutigen. Wir wiederholen uns: auf dieses Spiel braucht man sich also nicht einlassen.
Mit Rechten reden ist nicht neu
Eine weitere Frage schließt sich an: Mit wem soll eigentlich über was geredet werden? Geredet wird die ganze Zeit mit Rechten. Ständig. Im Fernsehen, in Zeitungen, in der Kneipe. Mit Rechten reden, sie inhaltlich konfrontieren, klingt erst einmal nach einem innovativem Vorschlag, ist dabei aber nicht neu. Und so überrascht der unhistorische Diskurs im Feuilleton. Das Konzept der Konfrontation im Umgang mit Rechten entwickelte sich als Reaktion auf eine gescheiterte Soziale Arbeit, welche einen akzeptierenden Ansatz mit „Problemklientel“ aus der Praxis mit Drogen gebrauchenden, auf extrem rechte Jugendliche zu übertragen versuchte (hierfür steht der Name des Erziehungswissenschaftlers Franz Josef Krafeld). Das Ergebnis ist bekannt: Rechte nahmen sich den angebotenen Platz und aus einem offenen Jugendzentrum wurde ein nationales Zentrum. Beispielhaft ist hierfür das Jugendzentrum Winzerla in Jena, in dem Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ein- und ausgingen, ihre politischen Netzwerke knüpften und sich radikalisierten. Danach kam die Idee, die Rechten nicht machen zu lassen, sondern sie zu konfrontieren (Albert Scherr). Eine Idee, die in der pädagogischen Bildungsarbeit nur bedingt gelungen ist. Wer über manifeste menschenfeindliche Einstellungsmuster verfügt, dem wird auch ein Besuch in Auschwitz nicht helfen, von dieser Meinung abzukommen. Was also bringt eine Konfrontation, was ein Gespräch?
So oder so soll es sich bei dem gegenwärtig diskutierten VorschlagRechte in öffentliche Diskussionen einzubinden ja nicht um ein pädagogisches Angebot handeln, sondern um eine öffentliche politische Auseinandersetzung, eine Konfrontation der Abwegigkeit menschenfeindlicher Ideologie. Wir stellen uns hier die Frage über was dann eigentlich geredet werden soll? Über Positionen? Gibt es da eine Diskussion, die kompromissbereit ist? Nein, es gibt eine Darstellung von Positionierungen, die auch schon vorher klar war. Um diese zu kennen braucht man rechte Akteur*innen gar nicht zu befragen. Diese Selbstpräsentationen sind tagtäglich auf rechten Blogs, in ihren Büchern, Videos und Aktionen herauszufinden, wenn sie einen denn interessieren. Diese öffentlichen Rahmen, zu denen Rechte sich dann entweder selbst einladen oder sie in einem vorauseilendem Gehorsam eingeladen werden, vergrößern nur die Reichweite ihrer Selbstpräsentation. Metapolitik nennen sie das dann. Dabei reagiert die demokratische Gesellschaft hier nur auf ein rechtes Narrativ – „mit uns redet ja niemand“ – anstatt eigene Maßstäbe zu setzen. Unseres Erachtens nach braucht es für eine öffentliche Kritik an rechten Positionen keine Rechten, die man danach befragt, was sie da denn jetzt genau meinen. Die Idee diese Leute vorzuführen oder zu entlarven, läuft von vorneherein ins Leere, kann doch davon ausgegangen werden, dass beispielsweise antisemitische oder rassistische Argumentationsmuster so oder so nicht schlüssiger werden, wenn man sie nur lange genug wiederholt oder erklärt.
Der Diskurs behebt nicht die gesellschaftlichen Widersprüche
Das größte Problem aber ist: Im direkten Diskurs lässt sich in der Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten nachhaltig nichts gewinnen. Wer glaubt im Diskurs alleine lassen sich aktuelle Probleme auflösen, unterschätzt die komplexe extrem rechte und rassistische Subjektivierung, die über Jahre in Freundeskreisen, rechten Netzwerken und durch Aktionen eingeübt wird. Zugleich wird übersehen, dass der Diskurs im Rahmen einer Gesellschaft abläuft, die selbst inhärent widersprüchlich ist. Die Neue Rechte spricht offen die Widersprüchlichkeit der liberalen und demokratischen Gesellschaft an. Widersprüche wie die künstliche Trennung zwischen der politischen und ökonomischen Sphäre, zwischen Privat und Öffentlichkeit, zwischen dem Versprechen nach Gleichheit und der tatsächlich erfahrenen Ungleichheit, zwischen Rechtsstaat und gewaltsamer Souveränität. Die Neue Rechte will diese Widersprüche nun nicht überwinden, sondern ideologisch überformen. Sie suchen die Auflösung in einem völkischen Projekt, das in letzter Konsequenz auf eine massenhafte Entrechtung und Aussonderung von einer Vielzahl von Menschen hinauslaufen kann. Doch liberale und republikanische Kräfte haben ihrerseits das Problem, dass sie die Widersprüche der Gesellschaft verschweigen, indem sie suggerieren, das bessere Argument könne obsiegen. Der Soziologe Matthias Quent, der über die NSU-Mordserie promoviert hat, nennt diese Widersprüche „demokratische Schere“. Die Rechten sind in der Lage, die reale Distanz zwischen den egalitären Versprechungen der Demokratie auf der einen und den faktischen Ungleichwertigkeitsvorstellungen auf der anderen Seite zu besetzen. Diese Auseinandersetzung gewinnt man also nicht im Diskurs, sondern nur wenn an dieser realen Distanz in der politischen Praxis etwas verändert wird.
Wofür das Ganze also – mit Rechten in öffentlichen Räumen zu reden? Nicht ohne Grund plädieren Praxisprojekte, die Präventions- oder Ausstiegsarbeit betreiben, seit Jahren dafür, nicht mit Kader oder gefestigten Personen zu arbeiten, hier wird nur Diskussionsvermögen geschult. Jede öffentliche Auseinandersetzung in der über rechte Positionen verhandelt wird, ist indes ein Raum, den man rechter Profilierung überlässt, und diesen geben sie so schnell auch nicht wieder her, wie uns das Paradebeispiel der Buchmesse vorgeführt hat.
Rechten keine demokratischen Räume überlassen
Gespräche lohnen sich hingegen mit jenen, die auf dem Weg dorthin sind, oder selbst entscheiden sich ändern zu wollen. Mit denen kann und muss man reden. Vor allem muss man aber mit denen reden, die von dem gegenwärtigen Diskurs nicht als Akteur*innen in die Debatte einbezogen werden. Das sind zuallererst mal all jene, die von rassistischen, antisemitischen, sexistischen Vorurteilen und den darauf folgenden Übergriffen betroffen sind. Jenen sollte eine Bühne gegeben werden. Warum reden wir nicht stärker mit Migrant*innen? Reden sollte man aber auch mit jenen, die nicht wissen, worum es hier geht aber vielleicht Versatzstücke rechter Ideologie teilen. Das muss nicht immer auf einer Bühne geschehen, sondern in allen Bereichen des Alltags: Im Kindergarten, der Schule, beim Arbeitsamt. Hier gilt es, Person und Position zu trennen. Es gibt allerdings einen gewichtigen Unterschied zwischen dem privaten Gespräch und einem öffentlichen Auftritt: Während es im ersteren aus einer pädagogischen Perspektive sogar zweckdienlich sein kann, den Vorwurf des Rassismus oder Antisemitismus erst einmal zu suspendieren, ist es in der öffentlichen Sphäre notwendig diese Positionen auszugrenzen oder, wo dies nicht möglich ist, unmittelbar zu benennen. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus sind Absichtserklärungen, Aufrufe, die direkt darauf abzielen, Menschen zu schaden. Zum Schutz dieser Menschen sollten demokratische Akteur*innen klar machen, dass ihre Verächtlichmachung keinen Raum in der Gesellschaft bekommt.
Leider kann man es sich oft gar nicht selbst aussuchen mit Rechten zu reden oder eben nicht. Sie erhalten bereits vielmals Zugang zu allen möglichen öffentlichen und demokratischen Formaten. Was macht man also, wenn man in einer Talkshow, bei einer Podiumsdiskussion oder andernorts in eine Diskussion gezwungen wird? Sicherlich nicht mit den Ideologen der Rechten selbst reden. Man redet dann über sie und adressiert das öffentliche Publikum. Man versucht nicht sie zu konfrontieren, sondern über die Konsequenzen ihrer Ideologie zu sprechen. Man nimmt am Diskurs teil, um sie auszuschließen. Das ist womöglich noch schwieriger als mit ihnen zu reden.
In die Offensive kommen
Aus alldem folgt für uns sich nicht von der Rechten in die Defensive drängen zu lassen, nicht mit ihnen über ihre Themen und „Lösungen“ zu sprechen. Die alte und die neue Rechte greifen das Leben selbst an, indem sie entscheiden wollen, wer dazugehört und wer im schlimmsten Fall gewaltsam ausgeschlossen wird. Es geht deshalb darum offensiv eine Frage an den politischen Diskurs und die Praxis erneut aufzugreifen, in der tatsächlich eine moralische Verortung aufgehoben ist: Die Frage wie wir eine Gesellschaft entwickeln können, in der sich ohne Angst verschieden sein lässt.
Über die Autor_innen:
Alice Blum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Sie forscht zu rechten Szenen in der Gegenwart.
Maximilian Pichl ist Rechts- und Politikwissenschaftler. Er forscht zum NSU-Komplex und dem EU-Grenzregime. Zudem ist er Redaktionsmitglied des Grundrechte-Reports.
Tom David Uhlig leitet an der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main ein Modellprojekt zu Antisemitismus in der Linken. Er studierte u.a. Psychologie und ist Mitherausgeber der „Psychologie und Gesellschaftskritik“ und der „Freien Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie“.
Text von: http://www.belltower.news/[…]
Ein interessanter Text. Es scheinen auch immer mehr linke Gruppen vom „mit Nazis reden wir nicht“ abzuwenden und auf Podiumsdiskussionen mit der AfD zu gehen. Man sollte wenigstens versuchen die Veranstaltenden umzustimmen zur Not mit anderen Eingeladenen zusammen.