Eine Person aus unserem Umfeld, nennen wir sie Kapuzenbrille, hat vor einigen Tagen einen Strafbefehl erhalten.
Die Person hat angeblich gegen das Vermummungsverbot verstoßen, weil sie eine Sonnenbrille und eine Kapuze trug. Ja richtig gelesen, Kapuze und Sonnenbrille, deswegen soll sie nun eine Geldstrafe in Höhe von 1.200€ zahlen. Deswegen könnt ihr hier spenden: https://www.leetchi.com/c/solidarkasse-fuer-kapuzenbrille
Hier ist der Erfahrungsbericht von der Demo, auf der das alles passiert ist:
Am 16.6.2018 fand in Wuppertal eine Demo gegen einen Aufmarsch der Neonazi Kleinstpartei „Die Rechte“ statt, bei der sich die Teilnehmenden offen zum Nationalsozialismus bekannt haben, dabei natürlich für Nazis typische kryptische Sprache verwendet haben, die man mit ein bisschen Verstand entschlüsseln kann (bspw. wurde ein Banner mit der Aufschrift „Für einen sozialistischen Nationalsozialismus“ genutzt). Ansonsten das übliche: Reichsflaggen, vorbestrafte Ordner auf der Nazidemo, Tattoos von SS Einheiten, aber das einzig problematische war eine ACAB Tätowierung.
Es war ein sonniger Tag, die Stimmung war, wie bei fast allen Demos, auf denen ich war, angespannt. Für die Gegendemo, die nicht angemeldet war, musste zuerst ein*e Anmelder*in gefunden werden, wozu sich eine Person aus einem örtlichen Bündnis gegen Rechts bereit erklärte.
Im großen und ganzen war die Auftaktkundgebung der Nazis eine Situation, wie man sie leider kennt: Hamburger Gitter zwischen den Demos, Nazis, die von der Polizei geschützt werden, Kameras, die auf die Gegendemo gehalten werden und unentspannte Cops.
Da Nazis die Gegendemo abfotografierten, zog ich meine Kapuze über den Kopf und eine Sonnenbrille an, weil ich’s als Antifaschist nicht so schön finde, wenn mein Gesicht in irgendwelchen Nazi-Datensätzen ist. Als der Kameramann weg war, habe ich Kapuze und Sonnenbrille abgelegt.
Nachdem die Nazis ihre Laufdemo starteten, machten auch wir uns auf den Weg, um in die Nähe deren Route zu kommen. Als wir durch eine Polizeiabsperrung wollten, durch die man uns nicht durchlassen wollte, weil wir ja so böse und gemein aussehen, wurden 2 Personen aus unserer Bezugsgruppe kontrolliert und durchsucht, wobei sich die anwesenden Polizisten, so wie immer, übergriffig und grob verhielten. Am Ende eröffnete einer der Cops mir gegenüber, dass ich eine Anzeige wegen Verstoß gegen das Vermummungsverbot erhalten würde, worauf ich mit erstaunen reagierte.
Als ich gehen wollte, musste ich den Cops „versprechen“, dass ich keine Straftaten mehr begehen würde, dazu kann ich nur müde lachen, weil’s einfach völliger Blödsinn ist, gegenüber denen zu sagen, dass man noch blockieren will. Außerdem fing ein Cop hinter mir an, zu tänzeln und „Du kannst geh’n, aber deine Kopfhaut bleibt hier“ (ist ein Song von ’ner Punkband) zu singen. War ziemlich creepy.
Wir sind dann nochmal in die Nähe der Abschlusskundgebung der Nazis gelangt, für die ein Tanzprojekt mit geflüchteten Jugendlichen abgesagt wurde, effektiver Gegenprotest oder Blockaden waren leider nicht möglich.
Hier findet ihr noch n paar Artikel zu der betreffenden Demo:
https://tacheles-sozialhilfe.de/[…]
www.wz.de/nrw/wuppertal/polizei-nimmt-wuppertaler-jobcenter-chef-bei-demo-gegen-rechte-fest_aid-25252869
www.wz.de/nrw/wuppertal/[…]
Mittlerweile wurde eine erkennungsdienstliche Misshandlung bei mir durchgeführt, bei der die anwesenden Cops mir klar machen wollten, dass ich schuldig bin und definitiv einen Strafbefehl erhalten würde und deshalb immer wieder nach meinen Einkommensverhältnissen gefragt haben, damit ein Strafbefehl in angemessener Höhe ausgestellt werden kann.
Ich werde gegen den Strafbefehl Widerspruch einlegen, weil ich absolut nicht einsehe, etwas falsch gemacht zu haben.
An Kosten sind bisher 900€ für meinen Anwalt angefallen.
Inzwischen wurde das Verfahren gegen die zweite Person, die mit den selben Vorwürfen konfrontiert wurde, eingestellt und ich habe den Termin für die Hauptverhandlung bekommen.
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Wir als Gruppe sehen diesen Strafbefehl in einer langen Reihe von Repressionen der staatlichen Behörden gegenüber linken Protesten und antifaschistischem Widerstand, mit dem Ziel, diesen mundtot zu machen.
Unverhältnismäßig harte Strafen gegen linken Protest, beispielsweise Antifaschist*innen oder Klimaaktivistis, während Nazis, selbst wenn sie terroristisch aktiv waren und sind (wie bspw. Ralf Wohlleben oder Andrè Eminger), glimpflich davon kommen. Es ist schon seit Jahren, wenn nicht schon immer Standard, dass die Polizei das Problem nicht in demonstrierenden Nazis sieht, die über ihre Demos ihre vermeintliche Stärke zeigen und die Straßen für sich reklamieren wollen, sondern im Gegenprotest, der dann natürlich entsprechend kriminalisiert werden muss. Dafür setzt man sich auch gerne mal über Gerichtsurteile hinweg, die das anlasslose Filmen von Demonstrationen untersagen, da dies als Einschüchterungsmaßnahme gewertet wird und damit einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit darstellt.
Auch werden die Gesetze entsprechend entworfen, um linke Protestkultur und ihre spezifischen Ausdrucksformen zu unterbinden. In diesem Zusammenhang steht auch das Vermummungsverbot (im gleichen Zuge auch das Verbot von sogenannter „Schutzbewaffung“), welches am 28. Juni 1985 unter Helmut Kohl beschlossen wurde.
Wir aber treten, obwohl wir das Ziel von Repressionen sind, weiterhin für eine solidarische Gesellschaft ohne Nazis ein, in der wir Institutionen wie Polizei und Justiz überwunden haben werden und nicht mehr benötigen. Jenseits von Staat, Patriarchat und Kapital, die die Handlungsgrundlage des Faschismus darstellen.
Dementsprechend wird es in Ulm in der nächsten Zeit Solidaritätsveranstaltungen geben, um Kapuzenbrille dabei zu unterstützen, die anstehenden Kosten zu decken, denn:
Betroffen ist immer nur eine Person, gemeint sind wird alle!
Hier spenden: https://www.leetchi.com/c/solidarkasse-fuer-kapuzenbrille