Text von der schwarzen Ruhr-Uni:
Anarchistische Kritik an Schule und Uni ist im deutschsprachigen Raum kaum präsent. Es gibt nur wenige anarchistische Gruppen an Unis und Schulen. Wir haben daher eine eigene Reihe von Aufklebern entworfen, um dies zu ändern und Anarchismus vermehrt an Schulen und Unis zu tragen. Außerdem wollen wir den Widerstand gegen die Unterdrückung und Kontrolle des Wissens durch diese Institutionen und ihre Noten und Prüfungen vorantreiben. Wir haben in diesem Bereich bisher leider zu wenig getan und suchen daher gerade nach erfolgreichen Strategien. Über einen Austausch mit anderen Menschen würden wir uns daher sehr freuen. Die Aufkleber wurden mit Unterstützung der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen hergestellt, in der wir organisiert sind. Sie sind jetzt über den anarchistischen Mailorder “Black Mosquito” bestellbar. Zu jedem Aufkleber und dessen Inhalt haben wir einen kurzen Text geschrieben. Da die Ablehnung von Prüfungen ein sehr umstrittenes Thema ist, werden wir dazu später noch einen längeren Text veröffentlichen.
Noten
Noten sind ein Mittel um uns unsere Selbstbestimmung zu nehmen. Sie machen uns zu Zahlen, ordnen uns in eine Rangfolge ein. Wer in dieser Rangfolge unten steht, wer in der Schule, Universität oder während einer anderen Ausbildung „zu schlecht“ ist, dem wird der Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Ressourcen verweigert. Die Betroffenen können nicht studieren, eine bestimmte Ausbildung machen oder haben schlechtere Möglichkeiten, einen „Arbeitsplatz“ zu finden.
Aber dies ist nicht die einzige Auswirkung von Noten. Sobald wir in die Schule gehen wird uns beigebracht, wir seien nur etwas wert, falls wir „vernünftige Leistungen“ erbringen. Das trichtern uns Lehrer*innen, Eltern und Verwandte ein. Wenn wir diesen Erwartungen nicht entsprechen, wird uns mit Ablehnung begegnet. Als Kinder werden wir oft auch direkt bestraft, zum Beispiel indem uns verbotenen wird mit unseren Freund*innen zu spielen und wir stattdessen „lernen“ sollen. Später haben wir die äußere Abwertung und Strafe so sehr verinnerlicht, dass wir uns schlecht fühlen, wenn wir keine „guten Noten haben“.
Hören wir auf, uns unseren Wert nehmen zu lassen, indem wir uns einer Rangfolge von Zahlen unterwerfen: Wir sind Menschen, keine Nummern!
Prüfungen
Einige von uns haben bereits erlebt, was es bedeutet eine Prüfung endgültig nicht zu bestehen. Viele andere treibt die Angst, auch sie könnte dieses Schicksal ereilen. Das Nicht-Bestehen einer Prüfung raubt uns Möglichkeiten und Freiheiten in unserem Leben (Siehe den Text zu Noten). Prüfungsangst macht uns krank. Manche leiden psychisch, andere physisch oder auf beide Arten.
Wir bekommen vorgegaukelt, Prüfungen sollten unsere Eignung zu einer bestimmten Tätigkeit testen, doch dies ist häufig eine Lüge. Würdest du lieber von einem*r Mediziner*in behandelt werden, die*der gut in einem Multipel-Choice-Test war und danach alles wieder vergisst oder von einer*m, die*der ihre Tätigkeit wirklich liebt und versteht? Wer kommt im Alltag in eine Situation in der sie*er in einem abgeschotteten Raum sitzt und Fragen beantworten muss, ohne äußere Hilfe in Anspruch nehmen zu können? Aber selbst jene Prüfungen in denen wir praktische Dinge tun müssen, verbessern die Qualität z.B. von medizinischer Behandlung nicht unbedingt. Wenn eine Prüfung gesellschaftlich verbindlich durchgesetzt werden sollen, braucht es dafür Zwang. Wer würde einen Abschluss machen, wenn mensch auch behandeln könnte ohne bestraft zu werden?.
Wird Macht in der Form einer solchen Autorität zentralisiert, dann haben auch immer Menschen Interesse auf diese Einfluss zu nehmen. Es entsteht Korruption, welche dem Ziel der Prüfung (die Fähigkeiten der Geprüften festzustellen) entgegenwirkt. Es gibt ein Interesse der Geprüften spätere Fehler zu vertuschen, immerhin könnte ihnen sonst z.B. die eigene Zulassung aberkannt werden. Auch bräuchte eine solche Autorität eine Möglichkeit ihre Entscheidungen mit Zwang gegen den Willen der Geprüften durchzusetzen, andernfalls wäre die Prüfung nicht mehr verbindlich. Diese Möglichkeit setzt in Prinzip einen neuen Staat voraus.
Bei unverbindlichen Prüfungen gäbe es diese Probleme nicht und für einige von uns stellen diese eine Möglichkeit dar, Fähigkeiten zu testen und transparent zu machen. Andere von uns haben auch hieran Kritik: Auch eine unverbindliche Prüfung hat Folgen, sie schafft einen Bruch für die*den Geprüften sowie eine innere Legitimität. Nach der Prüfung trauen sich die Geprüften mehr zu, denn sie sind jetzt richtige Ärzte*innen/Mechaniker*innen/Busfahrer*innen/… Dadurch wird ihr Handeln für sie weniger hinterfragbar. Wir sind gegen Prüfungen und streben ein lebenslanges Lernen mit dauerhaften Feedback und Kritik an.
Lassen wir nicht die im Stich, die nicht nach den Bewertungsmaßstäben von Schulen und Universitäten handeln und denken. Wie wir in Prüfungen abschneiden, sagt nichts über unsere Fähigkeiten aus! Es gibt keine gerechten Prüfungen!
Abschreiben
Wer in Klausuren abschreibt, wird als Betrüger*in angesehen. Dabei ist es die Gesellschaft, die uns betrügt. Uns wird erzählt, das Bildung unsere Zukunft verbessern würde. Doch was bedeutet Bildung ins unserer Gesellschaft? Es beutetet vor allem, immer wieder vorgegebenes Wissen zu reproduzieren¹. Wenn wir von der Tafel oder den projezierten Folien abschreiben, ist das gewollt. Bei Klausuren dürfen wir diese Mitschriften dann nicht mehr benutzten. Ginge es bei Klausuren um unsere eigenen Gedanken, dann wäre dies anders.
Klausuren sollen uns zur Anpassung und Verinnerlichung eines ganz bestimmten Wissens zwingen. Dieses Wissen dient unter anderem dem Erhalt von Herrschaft und damit unserer Unfreiheit, seine Anwendung und Inhalte bringen Klimawandel, Kapitalismus, Staat, Patriarchat, Rassismus und tausend andere Probleme/Unterdrückungsformen hervor. In der Zeit, in der wir für Klausuren „lernen“ müssen, können wir uns kein anderes Wissen aneignen. Indem wir gemeinsam bei Klausuren abschreiben, minimieren² wir den Aufwand und die Zeit, die uns Klausuren nehmen. So gewinnen wir einen Teil unserer Selbstbestimmung über das, was wir lernen, wieder und können beginnen uns Wissen anzueignen, das uns bei der Lösung unserer Probleme hilft anstatt diese hervorzubringen.
Schreiben wir uns unsere Freiheit nicht ab, schreiben wir lieber ab!
¹nachbilden und weiterführen
²möglichst klein machen
Bildung selbst machen!
Wenn wir uns nicht mehr durch Noten, Prüfungen und der Autorität von Schule/ Uni unterdrücken lassen wollen, müssen wir unsere Bildung selbst organisieren. Dafür sind unweigerliche Orte des gemeinsamen Lernens notwendig. Viele dieser Räume werden momentan von staatlichen oder kapitalistischen Institutionen³ kontrolliert. Also müssen wir uns diese Räume zurücknehmen – sie mit freier Bildung besetzen. Das wird der Staat in den meisten Fällen zu unterbinden versuchen indem er die Polizei gegen uns einsetzt, schließlich ist eine seiner wichtigsten Aufgaben die Verteidigung des Eigentums. Wie Mensch auf so etwas reagiert, sollte mensch sich am besten vorher überlegen. Auch wird es nichts bringen, einfach eigene Bildung zu organisieren solange kapitalistische Unternehmen nur die staatlichen Abschlüssen anerkennen. Wir müssen daher Netzwerke aufbauen, in denen Menschen wirtschaftlich überleben können ohne einen staatlichen Abschluss zu haben. Aber trotz all dieser Schwierigkeiten:
Lassen wir unsere Bildung nicht länger kontrollieren! Nehmen wir uns die Räume, die wir brauchen, zurück: Wir bleiben sitzen und bilden uns selber!