Ausschreitungen in Hamburg

Nachdem die Polizei seit Wochen alles dafür tut, dass die Lage eskaliert können sie heute endlich den Lohn ihrer harten Arbeit ernten. Seit Wochen wird die Gewalttätigkeit der Demonstrierenden betont und nahezu herbeigesehnt. Außerdem wurden Protestcamps in de vergangenen Tagen von der Polizei verhindert und aufgelöst, wobei von den Polizist*innen bereits Gewalt angewandt wurde.
Heute wurde die Welcome to Hell Demonstration angegriffen und damit das Recht auf Meinungsäußerung. Die Aktionen der Polizei dienen der Schikanisierung der Protestierenden und sollen deren radikale Kritik isolieren und diskreditieren.

Wir fordern eine Solidarisierung mit den Leuten vor Ort und mit ihrer Kritik!

„Mehrere NDR Reporter vor Ort berichten übereinstimmend, dass von den Demonstranten zunächst keine Gewalt ausgegangen sei. Allerdings haben tatsächlich viele Mitglieder des „schwarzen Blocks“ ihre Vermummung nicht abgelegt. Zuvor soll es Absprachen zwischen Polizei und Demo-Veranstaltern gegeben haben, wie viel Vermummung für die Polizei hinnehmbar ist. Offenbar konnte man sich bei diesen Gesprächen nicht einigen. Dann gab es offenbar einen einzelnen Flaschenwurf eines anscheinend angetrunkenen Mannes, den Demonstrationsteilnehmer selbst von der Menge isolierten. Offenbar gab es auch im „schwarzen Block“ Ansagen, keine Gegenstände auf die Polizei zu werfen und eine Eskalation zu vermeiden. Die von der Polizei geforderte Trennung der Demonstranten vom „schwarzen Block“ gestaltete sich schwierig. Die Demonstranten fühlten sich faktisch von mehreren Seiten eingekesselt.“

Der Text oben ist vom >NDR<

Der Text unten ist von der >Tagesschau<

Doch der Soziologe meint, es gebe seit einigen Jahren zunehmend eine Tendenz, mit Protest repressiv umzugehen. Ullrich spricht von autoritären Krisenreaktionen – und das sei genau das, was derzeit in Hamburg zu beobachten sei. Diese neue Entwicklung in der Polizeistrategie sei eine Reaktion darauf, dass es erfolgreiche Protestformen vor allem von Globalisierungskritikern gegeben habe. Das neue Grundprinzip der Polizei laute, schon im Vorhinein alles auszuschließen, was an Gefahr drohen könne, indem man versucht, maximale Kontrolle zu inszenieren.

Dazu gehörten die Aufrüstung der Polizei, massive Vorkontrollen, die starke Begleitung von Demonstrationen, wo teilweise mehr Polizisten als Teilnehmer seien. „All diese Maßnahmen folgen einer präventiven Logik“, erklärt Ullrich, „sie gehen mit einer massiven Machtdemonstration und Eingriffen einher, die auf Protestierende eindeutig repressiv wirken. Sie fühlen sich drangsaliert und kriminalisiert. Und genau das zeigt sich gerade in zugespitzter Form in Hamburg.““
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„Die Politik hat somit nicht nur die Sicherheit beim Gipfel, sondern den gesamten Umgang mit Protesten einfach der Polizei übergeben. Bereits im Streit um mögliche Sicherheitszonen während des G20-Gipfels hatte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) deutlich gemacht, dass über eine Einrichtung in letzter Instanz die Polizei entscheidet. „Das, was aus Sicherheitsgründen erforderlich ist, muss auch gemacht werden“, sagte er vor dem Innenausschuss der Bürgerschaft. Man werde sich auf das wirklich Notwendige und noch zu Verantwortende beschränken. „Aber da gibt es keinen Spielraum für politische Aushandlungsprozesse.“

Dies sei ein Freibrief für die Polizei gewesen, stellt der Soziologe Ullrich fest. Grote habe damit ausgedrückt, die Polizei könne machen, was sie wolle. Das sei bei sozialen Konflikten oft zu beobachten, erklärt Ullrich: „Die Polizei wird vorgeschoben – und aus dem eigentlichen Konflikt zwischen Protestierenden und Politik wird ein Konflikt zwischen Protestierenden und Polizei.“ Die Politik sei damit fein raus.“

Außerdem noch ein Artikel zu Gewalt aus der >TAZ< :

„Die gesamte Diskussion um Gewalt ist verlogen, durchzogen von Auslassungen und blinden Flecken. Ein Blick in die Nachrichten genügt, um die tatsächliche Gewalt zu sehen: Ein narzisstischer weißer Mann im Weißen Haus prahlt damit, in Afghanistan die „Mutter aller Bomben“ abgeworfen zu haben.

Im G20-Mitgliedstaat Argentinien wird durchschnittlich jeden Tag eine Frau von Männern ermordet. Im G20-Staat Mexiko gelten mittlerweile 27.000 Menschen als verschwunden. Kaum ein Krieg auf der Welt, in den nicht mindestens ein G20-Staat verwickelt ist. Menschen verhungern, Obdachlose erfrieren, obwohl der globale Reichtum ein historisch beispielloses Ausmaß erreicht hat.

Die Welt ist von unzähligen Gewaltverhältnissen durchzogen, ja, der Kapitalismus ist als solcher Gewalt. Viel zu allgegenwärtig ist sie, als dass dieser Text sie angemessen beschreiben könnte. Aber darum geht es nicht im öffentlichen Diskurs. Nicht Angela Merkel wird die Frage gestellt, wie sie es mit der Gewalt hält und ob sie sich distanziert von Diktatoren, Kriegsverbrechern und Minderheitenhassern oder von der Grenzschutz­agentur Frontex. Stattdessen sind es die Proteste gegen den Wahnsinn der Welt, für die wir uns ständig und bis zur Ermüdung rechtfertigen sollen. Nicht die herrschende Gewalt gilt als erklärungspflichtig, sondern der Versuch, sie zu beenden.

Die Gewaltfrage ist falsch gestellt. Es geht den meisten Fragenden überhaupt nicht um Gewalt. Sie wollen nichts hören von den 5.000 Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa allein im letzten Jahr im Mittelmeer ertranken. Wenn ich über Kriegsopfer rede, Abschiebungen nach Afghanistan, Hinrichtungen in Saudi-Arabien, dann heißt es, ich würde der Frage ausweichen. Ich soll nicht sprechen von der Militarisierung Hamburgs, den Marinehubschraubern am Himmel, dem Kriegsschiff im Hafen, den Scharfschützen auf den Dächern, den Wasserwerfern und Räumpanzern.
Wieso Menschen das Recht absprechen, sich zu wehren?

Mehr noch: Bei jedem Vorfall von Polizeibrutalität wird nach Entschuldigungsgründen gesucht, Einzelfälle, wahrscheinlich sind die Opfer selber schuld. Nicht um die Gewalt an sich geht es also, sondern darum, wer sie ausführt. Eigentlich lautet die Frage: Ein bisschen Protest ist ja okay, aber wie hältst du es grundsätzlich mit dem Staat und seinen Gesetzen? Auf welcher Seite stehst du? Doch ich will weder abstumpfen noch mich in die bequeme Ohnmacht flüchten, sowieso nichts ändern zu können. Der Motor des Fortschritts waren immer die Menschen, die wagten, die Ungerechtigkeiten nicht länger zu akzeptieren.

Wie käme ich also dazu, Menschen das Recht abzusprechen, sich zu wehren und sich aufzulehnen? Ihnen vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihrer Wut und Empörung Ausdruck verleihen dürfen? Vor wem muss ich mich rechtfertigen, wenn in Hamburg irgendwer eine Scheibe einwirft? Der Opposition, die zu Tausenden in der Türkei inhaftiert wird, oder der Flüchtlingsfamilie, die in ein überfülltes Schlauchboot steigt, stellt sich diese Frage nicht. Wenn ich eine Seite wählen muss: ich wähle ihre. Und deshalb muss ich immer wieder auf die Gewaltfrage antworten: Nein, ich unterwerfe mich nicht. Nein, ich distanziere mich nicht. Ich weigere mich, harmlos zu sein.

Dabei stehen wir als Linke vor dem grundsätzlichen Widerspruch, dass wir gegen die Gewalt und Unterdrückung sind und sie dauerhaft beenden wollen – während wir uns doch in gewalttätigen Verhältnissen bewegen müssen.

Für den Augenblick ist der massenhafte Ungehorsam, für den die Interventionistische Linke bekannt ist, eine gute Antwort. „Block G8“ gegen den Gipfel von Heiligendamm 2007, „Castor Schottern“ 2010 , „Dresden Nazifrei“ „Ende Gelände“ ab 2015, um den Klimaschutz in die eigenen Hände zu nehmen. Daran haben sich Tausende beteiligt, wir haben Wirkung gezeigt und eine ganze Generation von AktivistInnen geprägt.
Hoffnung entsteht aus Rebellion

Für die Aktion BlockG20, die morgen mit Tausenden den Gipfel blockieren will, haben wir jedenfalls eine feste Vereinbarung getroffen: Wir eskalieren nicht. Die Polizei ist nicht das Ziel –wir umfließen sie, wo sie uns im Weg steht. Wir dringen in die 38 Quadratkilometer große Demoverbotszone vor und setzen sie damit außer Kraft. Wir weigern uns, demokratiefreie Zonen hinzunehmen. Wir wollen keine kleine, entschlossene Minderheit sein.

Um die bestehenden Gewaltverhältnisse zu überwinden, müssen wir Mehrheiten gewinnen, aber solche, die sich auflehnen. Die Erfahrungen der Auflehnung, der Handlungsfähigkeit und des gemeinsamen Muts werden ebenso abgespeichert wie sonst die Erfahrungen Fremdbestimmung im kapitalistischen Alltag. Im massenhaften Ungehorsam der Blockaden und in der Weigerung, sich das Demonstrieren verbieten zu lassen, finden wir gegenwärtig die beste Verbindung aus Kollektivität und Widerständigkeit.

Vom Gipfel der G20 geht keinerlei Hoffnung aus. Hoffnung entsteht aus Rebellion. Diese Hoffnung wächst, wenn wir uns morgen mit Tausenden dem Wahnsinn der Welt in den Weg stellen. Denn so, wie es ist, bleibt es nicht.“