AfD und direkte Demokratie

Heute hielt die AfD in Ulm einen sogenannten Bürgerdialog zum Thema direkte Demokratie in den Räumen der Stadt Ulm ab, zu dem lediglich ~30 Besucher*innen kamen; darunter auch Gegner*innen der AfD. Die Besucherzahl der Veranstaltung, die im Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Bayern (Neu-Ulm) stattfand, ist erfreulich gering gewesen, das Polizeiaufgebot dagegen erwartungsgemäß hoch.

Ungefähr 30 Personen, von denen zumindest manche dem Aussehen nach offensichtlich dem Linken Spektrum zuzuordnen waren, wurden, mit der Begründung die Veranstaltung hätte bereits begonnen, nicht eingelassen. Dadurch konnten auch einige Anhänger*innen der AfD nicht an dem „Bürgerdialog“ teilnehmen, wobei zwei Leuten mit einiger Verzögerung der Zutritt über eine Hintertür ermöglicht wurde.

Die Organisation „Mehr Demokratie – Ulm“ hatte am Münsterplatz in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsort der Rechten von 17 bis 19 Uhr eine Mahnwache angemeldet. Zu dieser hatten verschiedene Gruppen aufgerufen, darunter das Bündnis gegen rechts und das Kollektiv.26. Dem Aufruf folgten unserer Schätzung nach ~100 Leute, welche sich die verschiedenen Reden und Musikbeiträge anhörten.

In unserem Redebeitrag wurde der Umgang von manchen Demokraten und Teilen der Presse mit der AfD kritisiert. Wir sind der Meinung, dass man nicht mit der AfD redet und riefen deswegen dazu auf, die Veranstaltung zu stören. Das konnte leider auf Grund von unzureichender Planung unsererseits und des Ausschlusses vieler Personen durch die AfD nicht durchgeführt werden. (Auch wenn sie dadurch einige ihrer eigenen Leute nicht einlassen konnten.)

Lediglich drei Personen von Die PARTEI störten mit kreativem Protest im Saal und ernteten dafür sogar vereinzelt Applaus!

Soviel zur Selbstkritik und Beschreibung, jetzt ist Kritik an der Gegenveranstaltung notwendig. Vorab sei gesagt, dass wir aus pragmatischen Gründen mitmachten und eigene Inhalte versuchten beizutragen, für die Zukunft aber diskutieren müssen, ob wir an weiteren Veranstaltungen der „Mehr Demokratie – Ulm“ teilnehmen werden.
Zum einen wurden die selbe Lautsprecheranlage verwendet, welche sich bereits bei einer vorhergehenden Veranstaltung als mangelhaft erwies. Dieses Mal funktionierte sie noch schlechter – zum Ende gar nicht mehr. Inhaltlich: man fordert unkritisch und völlig unironisch mehr Demokratie (liegt auch schon im Namen der aufrufenden Organisation), während im östereichischen Modell diese schon zu rassistischen Entschlüssen führt und auch in der deutschen Demokratie zum Beispiel in Bezug auf die Asylgesetzgebung scharfe Einschnitte gemacht wurden. Das würde sich in einer direkten oder „demokratischeren“ Demokratie nicht ändern, was auch der AfD bewusst ist.

Anstatt, dass man hinterfragt, wieso es möglich ist, dass Rechte das Thema Demokratie besetzen können, versucht man die alten Parolen aufzufrischen und zu betonen, dass „die Mehrzahl der etablierten bzw. im Bundestag vertretenen Parteien für direkte Demokratie auf Bundesebene ein[tritt]“ ¹ und das zum Teil sogar schon seit 1990. „Das Thema ist also nicht neu, sondern wird nur gerade von der AfD strategisch vereinnahmt.“¹
Was dabei die Strategie sein soll und warum es nicht auch ein berechtigtes Ziel der AfD sein kann; in Zeiten von 14% ² und dem Versuch eines Heraushaltens aus politischen Fragen durch andere Parteien. Dass sich in einer Gesellschaft, in der alle zu allen in Konkurrenz treten, Nationalstaaten und Individuen, wird es in unseren Augen durch „mehr Demokratie“ keine Verbesserungen geben. Die Frage nach der richtigen Organisation des Zusammenlebens ist untrennbar mit der Frage nach der richtigen Art des Wirtschaftens verbunden. Und wenn man sich schon traut über Besitzverhältnisse (Eigentum von Produktionsmitteln) zu reden, dann ist es naheliegend, dass weitere Unterdrückungsmechanismen wie zum Beispiel Rassismus und Sexismus berücksichtigt werden müssen, bevor man sinnvoll von einer wie auch immer gearteten Demokratie reden kann.

„Ihr, die ihr von Demokratie redet, sagt uns, man solle alle abstimmen lassen. Aber das setzt kluge, klare Leute voraus. Was, wenn die Leute das nicht sind? In der Tat: Wenn Monopole per Netz die Kundschaft entscheiden lassen oder wenn ein Hitler seine Volksgemeinschaft abstimmen läßt, kommt auch ohne offene Gewalt nichts als Akklamation für strukturelle Gewalt heraus, also eine Gefolgschaft, die Hurra brüllt. Denn wer bei sich weiß: Ich in erpressbar, und wer keine anderen Informationen hat als die von den ErpresserInnen ausgegebenen, und wer dann auch noch [so weit geht] zu glauben, eigentlich müsse sie oder er gleichwohl frei sein, sonst ließe man sie oder ihn doch nicht abstimmen – nun, was wird so ein Mensch […] wollen? Die Todesstrafe für jede Art Abweichung[…].“ ³
„Es ist lebenswichtig für SozialistInnen, nicht mit Pauschalstimmungsmache wie ‚mehr Volksentscheide und Volksbegehren‘ in populistische Querfronten zu drängen, bei denen unter gegebenen Medienmachtsverhältnissen immer nur Moscheebauverbote und Privatschulschutzbeschlüsse herauskommen. Statt dessen lohnt es sich, die gesamthistorische Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen, die in der bürgerlichen Epoche den Streit um konstitutionelles, repräsentatives, plebiszitäres und anderes Wahlrecht geformt hat.“ ³

Im Anschluss dazu noch einige Gedanken, die Adorno und Horkheimer bereits 1944 anstellten:
„Aber die Freiheit in der Wahl der Ideologie, die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt, erweist sich in allen Sparten als die Freiheit zum Immergleichen. Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl der Worte im Gespräch, ja das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregungen hinein dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht. Die intimsten Reaktionen der Menschen sind ihnen selbst gegenüber so vollkommen verdinglicht, daß die Idee des ihnen Eigentümlichen nur in äußerster Abstraktheit noch fortbesteht: personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen. Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie[…]“ 4

„Das Gescheitsein wird hinfällig, sobald die Macht der Spielregel nicht mehr gehorcht und zur unmittelbaren Aneignung schreitet. Das Medium der bürgerlich traditionellen Intelligenz, die Diskussion, zergeht. […] Im Großen vollends geht es nicht anders zu. Dem Faschisten läßt sich nicht gut zureden. Wenn der andere das Wort ergreift, empfindet er es als unverschämte Unterbrechung. Er ist der Vernunft unzugänglich, weil er sie bloß im Nachgeben der anderen erblickt.“ 5

¹ Aufruf von „Mehr Demokratie – Ulm“ 10.10.18 „https://www.facebook.com/events/150691162549590/“
² Forsa 6.10.18 „https://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm“
³ Dietmar Dath, Klassenkampf im Dunkeln S. 75 f
4 Theodor W. Adorno / Max Horkheimer – Dialektik der Aufklärung S. 69 f
5 Dialektik der Aufklärung S. 87 f