Am 15.02.20 fand in der Volkshochschule (VH) Ulm, nach über 3 Monaten Verzögerung, eine als Podiumsdiskussion angekündigte Veranstaltung der Stadt Ulm zu dem öffentlich viel kritisierten Kampagnen-Film statt.
Auf dem Podium standen:
- Dr. Nicola Wenge vom Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg
- Sybille Thelen von der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg
- Hisam Sidou Abdulkader, der Regisseur des Films
- Frank Buchenheit vom LKA Stuttgart
- Gunter Czisch, der Oberbürgermeister Ulms
- Christoph Hantel, Leiter der VH
Gleich zu Beginn, hielt Christoph Hantel einen sechsminütigen Monolog, in dem er von einem „Sonnenkreis“ sprach, ein kleiner Versprecher?
Nein, er wiederholte das mehrmals und zeigt damit beispielhaft den Eindruck, den die gesamte Veranstaltung vermittelt: Irgendwie da sein und reden, damit das Kapitel endlich geschlossen werden kann. Einige der Personen auf dem Podium wirkten verloren und schlecht Vorbereitet, was sich in Redebeiträge, die ganz weit weg vom Thema abwichen, sich widerspiegelte. Der Titel der Veranstaltung war „Umgang mit Rassismus in der Gesellschaft: Unser Handeln“, doch es stellte sich schnell raus, dass eben dieses Handeln nicht thematisiert wurde.
Auch eine lebendige Diskussion fand nicht wirklich statt, den Personen auf dem Podium wurden nacheinander verschiedene, wahrscheinlich abgesprochene, Fragen gestellt. Diese Fragen wurden in längeren Redebeiträgen mehr oder weniger beantwortet. Die Rolle der „Moderation“ übte Christoph Hantel aus, gab dabei das Mikrofon nicht aus der Hand und beteiligte sich selbst mit langen Anekdoten, Ansichten und Statements. Offensichtlich stellte er sich auf die Seite der Stadtverwaltung und des Oberbürgermeisters. Kritische Fragen oder Nachfragen, wenn einer Frage ausgewichen wurde, stellte er nicht.
Nach circa 45 Minuten konnte das Publikum schriftliche Fragen einreichen. Das war auf der einen Seite eine niedrigschwellige Beteiligungsmöglichkeit, denn nicht jede:r möchte vor circa 150 Menschen aufstehen und reden. Auf der anderen Seite erlaubte es einigen Personen auf der Bühne, besonders Herr Czisch, völlig von den gestellten Fragen abzuweichen ohne das nachgehakt oder darauf hingewiesen werden konnte, dass die Frage nicht beantwortet wurde.
Was im Vorhinein sich durch die Ankündigung der Stadt bereits für uns angedeutet hat, wurde nochmal kräftig verstärkt: Jegliche Kritik an dem Film wurde völlig überzogen als „Empörung“ und mehrfach als „Scheiße, die über uns gekippt wurde“ bezeichnet. Zwar wissen wir nicht, was für Nachrichten Herr Czisch und Herr Abdulkader privat bekommen haben, öffentlich können wir keine Belege für diese Aussagen finden. Wir empfehlen jede:r sich die Kommentare unter dem YouTube Video anzuschauen, dort werden keine Personen persönlich angegriffen oder beleidigt, sondern viel inhaltliche Kritik geäußert. Mittlerweile haben sich zwar einige extrem rechte dort auch zu Wort gemeldet, die dort hetzen indem sie Vielfalt, Hautfarbe und Kriminalität in Verbindung bringen.
Die Kritik als Shitstorm abzutun ist erstens ein Schlag in das Gesicht aller Menschen, die tatsächlich regelmäßig Todesdrohungen, Alltagsdiskriminierungen und Hasskommentaren ausgesetzt sind. Zweitens wird völlig ignoriert wieviele Journalist:innen und Expert:innen auf dem Gebiet „extreme Rechte“ sich kritisch zum Film geäußert haben. (zum Beispiel das Demokratiezentrum Baden-Württemberg)
Auch realitätsfern waren die mehrfach geäußerten Äußerung, dass extrem rechte Weltanschauungen verstärkt aufkommen, wenn es der Wirtschaft nicht gut geht. Eine so pauschale Begründung kratzt nicht einmal an der Oberfläche des komplexen Themas wie solche Ansichten entstehen und sich verbreiten können.
Die Mehrfach geäußerte Aussage, man müsse rechten Personen nur mit Menschlichkeit begegnen und sie akzeptieren, welche auch im Film nahgelegt wird, ist völlig an der Realität vorbei und wird dem Problem nicht gerecht. Herr Buchenheit vom LKA redete von seiner Zeit in der mobilen Jugendarbeit und dass er dort gelernt hätte „Menschen akzeptieren, aber das was sie tun ablehen“. Damit umschreibt er die grundlegende Einstellung der „akzeptierenden Jugendarbeit“, welche in den 90er Jahren besonders in Ostdeutschland angewandt wurde und heute heftigst kritisiert wird, da sie extrem Rechte Zugang zu Räumen gab. Dramatisches Beispiel dafür ist der „Winzerclub“ in Jena. Dort traffen sich die Mitglieder des NSU in ihrer Jugendzeit.(https://www.der-rechte-rand.de/archive/5045/akzeptierende-jugendarbeit-reden-mit-rechten-jugendlichen/ und in „Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus“ von Matthias Quent, Seite 312)
Das Thema Vielfalt, welches der Film laut Titel behandeln wollte, wurde jedoch auch in der Diskussion nicht behandelt. Queere, migrantische, kulturelle und oppositionelle Gruppen sind in der Stadt vorhanden, wurden aber weder im Film noch in der Debatte erwähnt.
Fassungslos lässt uns bei dem Titel und Ankündigungstext der Veranstaltung, dass, mit Ausnahme von Dr. Nicola Wenge, keine der Personen nur Ansatzweise konkrete rassistische Taten in Ulm benannt hat. Hierzu empfehlen wir euch die gestern erstmals aufgetretene Gruppe „Rechte Umtriebe Ulm“ die eine Chronik rassistischer Straftaten 2019 aktuell verfasst und gestern mit einem Flyer auf diverse aktuelle extrem rechte Gruppen, Personen und Vorfälle hingewiesen hat:
Fazit:
- Die Kritik am Film wurde nicht sachgerecht behandelt und scheinbar auch nicht verstanden. (hier nachlesbar)
- Das Thema rechte Gewalt/ Rassismus in Ulm wurde kaum thematisiert.
- Außer verschiedenen interkulturelle Bildungsprogrammen und persönlichen Gesprächen von Herr Czisch mit „besorgten Bürgern“ scheint es von offizieller Seite keinerlei Prävention oder Intervention gegen extrem Rechte Gruppen und Personen in Ulm zu geben.
- Auf die Frage, warum nicht mehr Menschen mit Migrationshintergrund auf der Bühne über Rassismus sprechen wurde nur ein „ja ist halt so, machen wir nächstes mal besser“ geäußert.
- Die Moderation hat nicht viel moderiert, sondern eigene Meinungen und Statments abgegeben.
- Das Thema Vielfalt, welches der Film laut seinem Titel behandelt, spielte keine Rolle.
- Die Stadt unterstützt in unseren Augen nicht antirassistisches Engagement oder Gruppen, die tatsächlich vielfältig sind.
Aber auch:
- Klare Statements mit viel Applaus, besonders bei den Redebeiträgen von Dr. Nicola Wenge.
- Die Ankündigung weiterhin sich mit dem Thema zu beschäftigen (wir sind gespannt…).
Wir persönlich denken zu dem Film wurde nun wirklich alles gesagt und sind gespannt, ob die vielen Versprechen und Statements gegen extrem rechte Einstellungen von diesem Abend nun auch inhaltlich gefüllt werden.
Gerade die Razzien bei der sogenannten „Gruppe S.“ und dem extrem rechten Anschlag in Hanau, zeigen, dass es dringend notwendig ist nicht nur sich nett auf eine Bühne zu stellen und zu reden.
Konkretes Vorgehen gegen den Hass und die Gewalt von extrem Rechten ist gefragt und zwar nicht von irgendwelchen Stellen sondern von uns allen gemeinsam mit migrantischen Communitys.
Die komplette Veranstaltung wurde vom Radio FreeFM aufgenommen und ist hier nachhörbar.
da ist einiges dran
Wer rassistische Mythen verbreitet, die zentral für die Radikalisierung von Attentäter sind, kann nicht hinterher einfach so tun, als habe er nichts damit zu tun.
Das denke ich