Konservative Stammtischparolen

Am 20.07.2020 war der Schwörmontag, ein Ulm’er Stadtfeiertag. In der Schwörrede, die Oberbürgermeister Czisch (CDU) gestern hielt, sprach er viele Themen an. Darunter natürlich Corona und dessen Auswirkungen, Finanzpolitik, aber auch Rassismus und Ulmer Geschichte. Dabei vermischte er Themen die nicht zusammengehören und äußerte verkürzte bis falsche Thesen. Hier ein paar kritische Worte dazu von uns:

Bevor es losgeht noch ein Hinweis. Die Rede ging eine Stunde lang, wir behandeln nur einzelne Passagen die wir besonders kritisch sehen. Die Vollständige Rede gibt es hier.

1. Corona

Czisch erläuterte, warum Ulm die Pandemie gut überstanden hätte, und bedankte sich bei den „Helden des Alltags“. Er verglich die derzeitige Situaltion mit den Pestjahren 1547 und 1635. Zum Virus selbst sagt er:

Aber EINE Ähnlichkeit besteht. Wie in den Zeiten der Pest bedroht das Virus, unterschiedslos UNS ALLE.

Das ist aus einer medizinischen Perspektive hinterfragbar, da die Schwere der Erkrankung z.B. bei bestimmten Risikogruppen und Vorerkrankungen wesentlich gravierender ist. Aus einer gesellschaftlich Perspektive ist die Aussage falsch. Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass Gruppen, die nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören, verstärkt unter ihr leiden. Einige Beipiele:

  • Geflüchtete. Die zentrale Unterbringung in Massenunterkünften, sogenannten LEA’s (Landeserstaufnahemestellen) führte zu einer raschen Verbreitung des Viruses, da Hygienemaßnahmen in einer solchen Umgebung kaum umsetzbar sind.  Die dort wohnenden Menschen wurden wochenlang eingesperrt, anstatt sie dezentral unterzubringen. Die Weiterverbreitung des Virus wurde billigend in Kauf genommen. Quelle
  • Wohnungslose Menschen. Unterstützungsangebote wie Tafelläden wurden in der Akutphase der Pandemie geschlossen. Quelle
  • prekär beschäftigte Menschen haben kein Home-Office. Sie mussten weiter arbeiten. Zum Beispiel unter unwürdigen Bedingungen Spragel ernten bis zum Tod oder in Fleischfabriken schuften bis zur Erkrankung. Viele von Ihnen kommen aus Osteuropäischen Ländern und werden unter dem Mindestlohn bezahlt.
  • Häusliche Gewalt gegenüber Partner*innen und Kindern nahmen zu. Quelle

Mehr zu diesem Themenkomplex könnt ihr auch den Redebeiträgen einer Demo von uns Anfang Juni entnehmen:

2. Rassismus

Zu Rassismus sagte Czisch folgendes:

„Pauschale Rassismusvorwürfe wurden auch instrumentalisiert, um staatlichen Organen ihre Legitimität abzusprechen.“

„Dabei geht es häufig gar nicht um politische Anliegen. Es sind die Symptome gesellschaftlicher Verwahrlosung“.

Ein Schlag ins Gesicht für die 2000 Teilnehmenden der Black Lives Matter Demonstration in Ulm und den vielen, diversen Gruppen in Ulm, die sich gegen Rassismus stellen. Ihr Engagement für eine diverse Stadt und lebenswertere Gesellschaft ohne Diskriminierung ist für Herr Czisch wohl nur „Instrumentalisierung“ oder „Verwahrlosung“.

Danach fährt er fort und vermischt Hatespeech und Rassismuskritik:

„…angeblich harmlose Satire überschreiten hier Grenzen. Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst dürfen nicht zum Deckmantel für Beleidigungen und Hassreden werden.“

Darin sehen wir eine Anspielung auf den TAZ Artikel von Hengameh Yaghoobifarah. Czisch fährt damit in die gleiche autoritäre Schiene wie Seehofer, der laut angekündigte dagegen zu klagen.

Ja, Beleidigung und Hassreden sind ein Problem. Doch warum spricht Czisch davon im Kontext von rassimuskritischen Diskursen und satirisch überspitzten Kolummnen? Durch das Verbinden von Hatespeech und Rassismuskritik entsteht der Eindruck, es gäbe hier ein Zusammenhang. Das ist falsch, Hatespeech ist im politischen Kontext zum aller größten Teil eine Tat von extrem rechten Personen und nicht von Menschen die Rassismus kritisieren. Hatespeech äußert sich in antifeministischen, antisemitischen und rassistischen Drohungen gegenüber allen, die es wagen, laut und öffentlich für eine inklusive und diskriminierungsfreie Form des Lebens und gegen autoritäres und extrem rechtes Gedankengut Stellung zu beziehen.

Dass Czisch und andere Vertreter der Stadt Ulm mit solchen Begriffen um sich werfen, ohne die Bedeutung zu kennen, konnte bereits bei der breiten öffentlichen Kritik an einem Imagevideo der Stadt Ulm im Oktober 2019 gesehen werden. Darin wurde ein Neonazi mit schwarzer Sonne als Symphatieträger dargestellt. Die darauf folgende Kritik bezeichneten die Verantwortlichen für den Film als „Shitstorm“ und „Empörungsgesellschaft“.

Nun scheint Herr Czisch den nächsten Begriff gefunden zu haben. Aber es geht noch weiter:

“ Es wäre auch viel gewonnen, wenn Meinungsäußerungen in den sozialen Medien nur unter der Bedingung veröffentlicht würden, dass der betreffende Bürger seinen wirklichen Namen nennt. Gezielte Desinformation und „Hatespeech“ müssen von den Plattformbetreibern selbst wirksam unterbunden werden. „

Es zeigt die Gefährlichkeit von Law & Order Maßnahmen wie das Herausgeben von Passwörtern das aktuell geplant wird. Wenn nicht definiert ist was „Hatespeech“ genau ist, können solche Gesetze eine Waffe gegen kritische freie Meinungsäußerung werden. Außerdem steht dahinter eine verkürzte und autoritäre Denkweise: Durch Strafverfolgung und juristische Konsequenzen soll Hatespeech besiegt werden.

Das wird vielleicht die Anzahl an Drohungen im Internet verringern, doch es verändert in keinster Weise das dahinter stehende Gedankengut.

3. selektive Geschichtsauswahl

Immer wieder werden historische Ereignisse erwähnt. Pestjahre, Schwörmontag, Berblinger, und auch der 75 Jahrestag der Bombardierung Ulms:

„Im Dezember 1944, also vor 75 Jahren, wurde Ulm aus der Luft zerstört. Die Stadt schien am Ende. Und stand doch wieder auf.“

Die Bombardierung Ulms im zweiten Weltkrieg wird hier ohne jeglichen historischen Kontext und als großes Unglück dargestellt. Unerwähnt bleibt der 75. Jahrestag des Kriegsendes. Oder dass der Schwörmontag nach mehreren hundert Jahren 1933 durch den NSDAP Oberbürgermeister Friedrich Foerster erst wieder eingeführt wurde und die Schwörrede als Treuegelöbnis zwischen „Führer und Gefolgschaft“ nutzte.

Über diese Art, von der Bombardierung zu sprechen, haben wir dieses Jahr zum 8. Mai ein Video gemacht. In diesem versuchen wir, die Perspektive zu erweitern, warum Ulm eigentlich bombardiert wurde. Nämlich nicht einfach so, sondern im Kontext eines zweiten Weltkrieges und einer totalitären Diktatur, die für die größten Verbrechen der menschlichen Geschichte verantwortlich war.

„Die Widerständler des 20. Juli standen 1944 für ein anderes Deutschland, für ein friedliches, weltoffenes Deutschland.“

Es ist natürlich wenig überraschend, dass Czisch es sich am Jahrestag des Putschversuches des 20. Juli nicht entgehen lässt, ein etabliertes Vorbild des Widerstandes gegen das NS Regiem zu erwähnen. Außenvorgelassen werden Beispiele für regionalen Widerstand wie die Geschwister Scholl oder Georg Elser und seinem 75 Todestag.

Der Widerstand der Militärs um Stauffenberg ist nicht gerade unumstritten. Klar die beteiligten Militärs wurden im Laufe des Krieges zu Regimgegnern. Doch das macht sie nicht zu Demokraten oder makellosen Vorbildern. Definitiv falsch ist es, sie als Beispiel für Friedlichkeit und Weltoffenheit zu benennen, das wird in diesen Artikel deutlich:

„Problematische Erinnerung“

„So antisemitisch war der militärische Widerstand“

Fazit

Die Stadt Ulm gibt sich gerne international und bunt. Doch verschiedene Personen der Stadtregierung fallen aber immer wieder mit damit nicht zusammenpassenden Aussagen oder Handlungen auf.  Aussagen, dass es in Ulm kein Rassismusproblem gäbe, kurz nach einem rassistischen Angriff in der Stadt. Ein Imagevideo, in dem ein Neonazi als Teil einer bunten Stadtgesellschaft dargestellt wird. Gemeinderäte, die so tun, als gäbe es erst seit neustem eine Debatte um den Begriff „Mohr“ und meinen, das Wort sei vollkommen unbedenklich.

Mit seinen Äußerungen reiht sich Czisch in diese Vorfälle ein und zeigt klar, wer in seinen Augen stört, verroht und instrumentalisiert:

Das ist nicht die AfD Ulm, die erst letzte Woche versucht hat eine Vergewaltigung zu instrumentalisieren, ohne sich auch nur Ansatzweise sonst für Betroffene sexueller Gewalt oder Femiziden zu interessieren.

Es sind nicht die rechten Straftaten in Ulm, die seit Jahren immer weiter steigen, von 2017 auf 2018 um 25% und von 2018 auf 2019 um 17%.

Es ist nicht der Täter der Schaffnerstraße (übrigens zum Tatzeitpunk ein Angestellter der Stadt Ulm), der eine Nigerianische Gruppe im Somer 2019 angriff, weil er sie vertreiben wollte. Oder die Nachwuchs-Hooligans des SSV Ulms, die im Mai 2019 mehrmals eine Familie mit Roma-Angehörigen in Dellmensingen bedrohten und schließlich eine Fackel in Richtung ihrer Wohnwägen wurfen.

Es ist nicht der Fußball Hooligan mit Wehrmachtssoldaten-Tatoos, der während der Schwörrede unter den 250 ausgewählten Bürger*inenn im Publikum saß.

Nein, es sind die antirassistischen und antifaschistischen Menschen, die es wagen gegen diese Vorkommnisse und gegen die mangelnde Reaktion der Stadt ihre Stimmen zu erheben.