Bock in das „größte Wohnzimmer Ulms“⁸ Gleis 44 zu gehen? Wohl eher kaum.
Im Gleis 44 ist der angebliche Antifaschismus allein kulturelles Kapital, linksalternative Verhaltensweisen dienen lediglich der Vermarktung. Hier gibt es nur albernes Abgrenzungsgehabe, von den angeblich dummen Nazis will man sich abheben. Aber das wollen selbst die Angeklagten des antiziganistischen Mordversuchs.² „Noch das äußerste Bewusstsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten.“¹
Wir müssen reden. Über das Gleis 44.
Durch eine Recherche von Rechte Umtriebe Ulm wurde aufgedeckt, dass ein Fascho-Hooligan Kampfsport in Räumen vom Gleis 44 trainierte. Jannik S., welcher selber im Hooligan-Umfeld unterwegs war und in diesem Zusammenhang bereits eine Anzeige kassiert hatte, trainierte Dominik O., einen der Täter vom Fackelwurf in Erbach, im Gleis. Jannik S. ist weiterhin im Gleis als Boxtrainer und Türsteher aktiv. Denn: wer eine türkische Frau hat, könne nicht rechts sein (Tokenism). ⁷ Das mag für einige schockieren sein, doch für uns kam es nur wenig überraschend. Seit längerem sehen wir das Gleis kritisch. Haben uns aber bisher nicht dazu geäußert, da wir unsere Arbeit an anderen Stellen in Ulm als wichtiger ansahen. Und das Gleis mit seiner oberflächlichen Alternativität uns zwar genervt hat, aber mehr halt auch nicht.
Das Gleis 44 wurde 2018 eröffnet und wird seitdem von der Stadt Ulm als Aushängeschild für alternative Kultur genutzt. Das Team, das überwiegend aus Typen besteht, hat zweifellos viel Arbeit reingesteckt und sich um sein Image bemüht: Ein wenig Berlin Techno in Ulm, links alternativ angehaucht.
Dieses Image ist nicht viel mehr als eine Vermarktungsstrategie, wie sich in Äußerungen und Geschehnissen der letzten zwei Jahre gezeigt hat:
1. Verdrängung statt Aufarbeitung
Das Gleis drohte nach Angaben des Recherchekollektivs mit rechtlichen Schritten, sollte die Recherche zum Kampfsporttraining in ihren Räumen öffentlich werden. Nun behaupten sie, dass dies ein Missverständnis gewesen sei. Das ist für uns kaum glaubwürdig. Auf den eigenen Kanälen erscheint nichts über den Sachverhalt. Bei Donau 3FM wurde ein Artikel geändert, in dem zuerst der Name des Trainers auftauchte. Dieser verschwindet und in einer weiteren Überarbeitung wird ein Interview mit dem Gleis eingefügt. Man hätte schon Hausverbot erteilt und „…für uns ist damit aber auch erstmal die Sache geschwätzt“³
Angebracht und professionell wäre es gewesen einer Veröffentlichung zuvorzukommen und selber öffentlich Stellung zu beziehen. Wir vermuten ein strukturelles Problem, unsere Behauptung: Im Gleis sind Personen aktiv, deren Kontakte zu Rechten es ebendiesen auch weiterhin ermöglichen dort Fuß zu fassen. Samuel Rettig, Paul Kost und co stellen sich vor diese Menschen. Anstatt diesen Vorfall aufzuarbeiten, wird versucht den Sachverhalt so gut wie es geht aus der Öffentlichkeit rauszuhalten und schön zu reden.
Wurden/werden noch weitere Nazis oder rechte Hooligans des SSV Ulm im Gleis trainiert? Das ist wohl kaum auszuschließen.
Der Trainer bedrohte uns und andere, an den Recherchen von Rechte Umtriebe Ulm völlig Unbeteiligte. Auf Nachfrage haben wir vom Gleis Team keine Reaktion bekommen auf seine Drohungen.
2. Kommerz statt Kultur
Die Räume selbst werden kostenfrei von der Stadt überlassen, lediglich Wasser und Strom zahlt das Gleis selbst. Trotzdem fordern sie Raummiete. Sowohl von den Künstler:innen und Werkstätten, die dort die Räume nutzen, als auch bei Vorträgen.
Die Preise für Getränke oder den Eintritt für den Club sind genauso hoch wie in anderen kommerziell betriebenen Läden der Stadt. Menschen die beim Flohmarkt mitmachen zahlen für kleine Tische bereits Standgebühren.
Das sehen wir kritisch. Natürlich müssen die Menschen, die im Gleis arbeiten, ordentlich bezahlt werden. Doch wie kann es sein, dass ein Raum, der keinerlei Mietkosten hat, so viel Geld für Besucher:innen kostet?
Wenn das Bier 3,80€ kostet, wofür gehen dann die Einnahmen drauf?
Eintritt und hohe Preise ist eine Hürde für viele Menschen mit weniger Geld und schließt sie somit vom kulturellen und sozialen Leben aus.
Hinzu kommen Erfahrungsberichte, dass die Gage von Künstler:innen ins Besondere in letzter Zeit zum Beispiel im Liederkranz sehr gering ausfällt. Wer sich DJ’s holt und dann mit 200 Leuten volles Haus hat und alle trinken und essen kaufen, wie kann man dann so dreist sein und nur 50€ Gage zahlen? Oder noch besser keine Gage selber zahlen, sondern von anderen Projekten sich fördern lassen wie der Popbastion Ulm.
Andere Gruppen in dieser Stadt und auch wir selbst haben Veranstaltungen und Konzerte DIY mäßig organisiert, ohne eigene Räume oder Zuschüsse. Und so beschissen haben wir Künstler:innen noch nie bezahlt.
Wie kann man sich als Ort für alternative Kultur ausgeben, wenn man die Kulturschaffenden ausbeutet und auf ihrem Rücken Geld macht?
Während andere Orte schließen und um ihre Existenz bangen, kriegt das Gleis 40.000€ vom Land um umzubauen und geben es laut eigener Angabe aus für: Ebay Kleinanzeigen Möbel.
Wo gehen denn die 40.000€ hin liebes Gleis44 Team?
3. Gentrifizierung
Das Gleis44 ist in bester Lage direkt am Hauptbahnhof im Dichterviertel. Die Nutzung des Gebäudes ist auf drei Jahre begrenzt bis 2021 mit Sonderkündigungsrecht der Stadt Ulm.
Das Dichterviertel ist vielleicht das Viertel in dem Wohnraumaufwertung in Ulm am deutlichsten zu beobachten ist. Vor einigen Jahren gab es in dem Viertel vor allem Industrie- und Gewerbeflächen sowie einige Mietshäuser mit vergleichsweise geringen Mietkosten.
In letzter Zeit wird durch Projekte wie das von der Immobilien- und Projektmanagement Firma „Pro Invest“ klar, in welche Richtung das Dichterviertel geformt werden soll. Neue Betonblöcke mit Hotel und Wohnungen, einige für Rentner:innen, andere sogenannte „Serviced Appartments“. (Das sind möblierte Wohnungen für kurz oder langfristiger Nutzung). Ein Blick in die Imagebroschüre zeigt, welche Richtung angestrebt wird. Mit netten Marketingsprüchen direkt aus der Werbehölle wie „Live and Ride – zukünftig in 28 Minuten von Ulm nach Stuttgart“
In Ulm wird also Wohnraum geschaffen für den völlig ausgelasteten Großraum Stuttgart. Der Hintergrund davon ist, dass die Fahrzeit der Zuganbindung – S21 sei dank – halbiert werden soll. Das wirkt sich bereits heute auf die Mietpreise in Ulm aus. „800 neue Wohnungen“ klingt natürlich super. Aber wenn ein großer Teil davon Pendlerwohnungen sind, haben die Menschen die in Ulm leben nicht viel davon. Genauso wie die jetzigen Anwohner:innen des Dichterviertels, deren Häuser wegen dem feuchten Juppietraum eines Neubauprojektes von Pro Invest weichen müssen. Ob Sie wohl ebenso zentral gelegene Wohnung finden werden? Wohl kaum.
Was hat das mit dem Gleis44 zu tun? Dazu zwei Thesen. Das Gleis44 wurde gezielt und bewusst als Projekt in diese Nachbarschaft gesetzt von der Stadt. Es steht auf dem Gelände zum vorgesehenen Bebauungsplan von „Pro Invest“.
These 1: Seit der Eröffnung des Gleis 44 gibt es Konflikte mit den Anwohner:innen. In Hinblick auf die Verdrängung die auch Wohnhäuser im ummittelbaren Umfeld vom Gleis bevorsteht, fragen wir uns, ob es vielleicht nicht ganz zufällig ist, einen lauten Techno Schuppen genau dorthin zu packen.
These 2: Mit dem scheinbar hippen Kultur- und Kunstangebot soll eine Aufwertung des Viertels stattfinden und zahlungskräftige Leute angelockt werden. Beteiligt ist die Sanierungstreuhand Ulm (SAN), die auch schon 1999 die Kohlgasse „aufwertete“. Dabei musste auch das queere, bunte und von Weltstars (z.B. Freddy Mercurry) besuchte Aquarium schließen, wie der Geschäftsführer der SAN feststellte „[s]chon wegen der ganzen Art des Aquariums“, einfach ein „störendes Lokal“. Fazit: zu schwul.⁴ ⁵ ⁶
4. Sexistische Macker & Security
Fragt doch mal in euren Bekanntenkreisen rum wie Frauen* und nicht heteronormative Menschen das Gleis und sein Publikum finden. Wir haben mehrere sexistische Übergriffe erlebt und erzählt bekommen. Von Gästen und von der Security. Letzteres ist nach den neusten Recherche-Erkenntissen von Rechte Umtriebe Ulm selbsterklärend.
Das Gleis ist männlich dominiert.
Es legen fast nur Männer auf, es arbeiten nur Männer an der Tür und auch im Team sind überwiegend Männer. Die wenigen Frauen, die dort arbeiten sind überwiegend im Service tätig. Welche Gesellschaft oder alternative Kultur soll das denn repräsentieren?
Fazit:
Das Gleis44 ist Kommerz der sich alternativ anmalt, politische Veranstaltungen als Federschmuck nutzt, männlich dominiert ist und keine eigene inhaltliche Positionierung zu irgendwas vornimmt. Auch nicht wenn mehrmals riesige „Querdenken“ Demos genau vor ihrer Tür in ihrem zweiten Standbein, dem Liederkanz, stattfinden. Das nun dort ein Hooligan die Tür macht und in den Räumen seinen gewalttätigen, rassistischen Fascho-Kumpel trainiert ist der Gipfel und Anlass warum wir nun nach langer Zeit uns äußern.
Liebes Gleis Team, neben eurer Tür hängt doch ein „Fascho-Besen“. Der bringt nur recht wenig, wenn er an der Wand festgeschraubt ist. Wird wohl mal Zeit den Akkuschrauber rauszuholen.
Positioniert euch! (macht ihr ja eh nicht)
„Jede Stadt bekommt das Wohnzimmer, dass sie verdient.“ – Bertolt Brecht
¹ Adorno, Theodor W.: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft (1951).
² https://kollektiv26.blackblogs.org/2020/07/13/braune-brut-zwischen-rechten-doerfern-und-hooligans/
³ https://www.donau3fm.de/neonazi-im-gleis-44-103805/
⁴ https://www.swp.de/suedwesten/staedte/ulm/gleis-44-ulm-so-laueft-es-beim-gleis-44-in-der-schillerstrasse-31425966.html, https://www.swp.de/suedwesten/staedte/ulm/_endlich-mal-was-neues_-richtfest-im-gleis-44-27473060.html
⁵ 28.01.1999, Südwest Presse, Ulrike Zech: Kleinbürgerlich
⁶ 8.1.1999, Südwest Presse, Hans-Uli Mayer: Seit 1985 ein ,störendes Lokal“
⁷ https://freefm.de/artikel/rechte-umtriebe-im-gleis-44
⁸ 16.10.2020, Schwäbische Zeitung, Veronika Lintner: Gleis 44 bespielt das „größte Wohnzimmer Ulms“