Am Freitag den 14.01.21 versammelten sich irgendwo zwischen 300 und 800 Personen auf dem Münsterplatz um gegen den Spaziergang des Querdenken-Spektrums zu demonstrieren. Hier ein kurzer Rückblick aus unserer Perspektive zu dem ganzen Geschehen und unsere Kritik an den aktuellen Gegenprotesten.
Rückblick auf den Protest
Seit bald zwei Jahren gab es kaum Stimmen aus der Stadtgesellschaft gegen das ganze Querdenken Debakel, es ist höchste Zeit das sich mehr Menschen dagegen stellen. Deshalb begrüßen wir es natürlich, dass Medizinstudierende selbstständig dagegen auf die Straße gegangen sind.
Leider lief der Abend nicht perfekt für den Gegenprotest. Vom Vortreffpunkt am Hans und Sophie Scholl Platz lief die Versammlung auf einmal ohne hörbare Ankündigung und ohne jegliche Formation los in Richtung Münsterplatz. Dies hatte zu Folge, dass die Menschen zuerst planlos auf dem Münsterplatz standen, durchmischt mit Teilnehmenden des „Spaziergangs“. Das ist eine unübersichtliche und zum Teil gefährliche Situation, da der III. Weg, Hools des SSV Ulm, Identitäre Bewegung und potentiell andere gewaltbereite Leute bei den sogenannten Spaziergängen mitlaufen.
Schließlich fand eine von Polizeikräften umzingelte Kundgebung auf dem südlichen Münsterplatz statt. Vor Ort gab es mangels Technik keine wirklich hörbaren eden, das was nach außen ankam ist: die Kundgebung ist Pro Impfungen und gegen die Spaziergänge.
Die Behörden: Gleiches Spiel wie immer
Das Ordnungsamt Ulm und die Cops haben genau das getan, was sie immer machen:
dem nicht angemeldeten Demozug des Querdenken-Spektrums mit minimalem Polizeiaufgebot den Weg bereitet, den Verkehr gestoppt und die Straßen freigeräumt.
Gleichzeitig wurde der Gegenprotest, eine stehende Kundgebung, von allen Seiten eingekesselt. Eine Reiterstaffel war so postiert, dass ein Eingreifen bei Übergriffen der Querdenker unmöglich gewesen wäre, ohne die Gegendemo niederzureiten. Und die Reiterstaffel so nur dem Zwecke der Einkesselung/Einschüchterung der Gegendemo dienen konnte.
Den Höhepunkt des Abends bildete dann der Abschluss des Ganzen. Nachdem der Demonstrationszug des Querdenken-Spektrums auf dem Münsterplatz zurück war, wurde es den Teilnehmer*innen der Gegenkundgebung untersagt, diese zu verlassen bis die Teilnehmenden des sogenannten „Spaziergangs“ abgezogen waren.
Zusammengefasst: die Stadt Ulm hat die unangemeldete Demonstration des Querdenken-Spektrums wieder einmal nicht nur fast unbegleitet laufen lassen, sondern auch den roten Teppich in der gesamten Stadt ausgebreitet. Gegenprotest fand statt hat aber in keiner Weise den Spaziergang beeinträchtigt von der Route her. Wir gehen davon aus, dass insbesonder das Ordnungsamt weiter versuchen einen effektiven Gegenprotest zu verhindern.
Machen wir uns nichts vor: Das würde niemals so passieren wenn das andere politische Gruppen oder gar irgendwas Linkes mit einem „Spaziergang“ versuchen würden.
Das gleiche Spiel wiederholte sich : Die Polizei baut einen Käfigt mit Zubehör das ausschaut wie auf Wish bestellte Hamburger Gitter.
Spätes Erwachen: bürgerlicher „Gegen“protest
Neben den Medizin Studierenden kündigten nun auch Teile der Ulmer Stadtgesellschaft an irgendwas zu machen. Das irgendwas soll eine Menschenkette werden, am 22.01 / Samstag Nachmittag – also an einem Tag an dem es eh keine Querdenken Versammlung gibt, was für eine s Idee.
Lokalpolitiker*innen, Oberbürgermeister und alle anderen, die bisher die Fresse gehalten haben, surren jetzt wie die Fliegen zum Licht um sich öffentlichwirksam zu positionieren und inszenieren.
Keine Frage: Nach bald zwei Jahren in denen es niemanden interessiert hat, dass sich wiederholt abertausende unter dem Namen Querdenken mitten in der Stadt versammeln, ist das ein Fortschritt.
Allerdings zeigt es auch ganz klar wo die Grenze dieses bürgerlichen Protestes ist:
- So wie es jetzt ist wird den Spaziergängen eben kein Raum genommen, am Samstag gibts keinen Spaziergang und der südliche Münsterplatz ist eben nicht der Münsterplatz
- die Spaziergänge laufen wie sie wollen weiter, die Polizei fokussiert sich fast ausschließlich auf das umzingeln der Gegenkundgebung.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Spaziergängen ist bisher bei dem großen Teilen der lokalen Zivilgesellschaft immer noch nicht wahrnehmbar.
- Ja da halten sich viele nicht an Masken&Abstand und haben irgendwie was gegen das Impfen.
- Ja da laufen die lokalen Nazis, Faschisten und ihre Freund:innen mit und sind offensichtlich willkommen. Sie führen diese aber nicht an wie u.a. einige (z.B. SPD) hier lokal ernsthaft behauptete und sind eine Minderheit (einige Dutzend auf 1.000-3.000 Teilnehmende)
Das ist alles schon seit langem so, willkommen im Mai 2020.
Eine inhaltliche Analyse, dass zum einen dort Verschwörungsideologien nur so um sich greifen und zum anderen durch diese neue Form der Spaziergänge (keine sichtbare Organisation/ keine Reden/ keine zentralen Personen) sicherlich auch ein paar Leute mit ziemlich berechtigter Wut auf das politische Versagen in der Pandemie mitlaufen bleibt völlig liegen.
Das was dort läuft wird gerne als Querfront bezeichnet wird st es auch aber nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen etablierten Bürger*innen der Mittelschicht mit Verschwörungsideologien die anknüfpbar an faschistische Ideologien sind. Es ist eine undurchblickbare Mischung aus Antroposophie Anhänger*innen, überforderten Eltern, Esoteriker*innen, finanziell bedrohten Leuten aus Gastronomie/Kleinunternehmen/Selbstständigen/…, Imfpgegner*innen, Reichsbürger*innen, Verschwörungsideolog*innen, Wutbürger*innen und auch einigen organisierten Nazis und Faschos.
Diese Gruppen haben gar nicht so viel gemeinsam außer:
- „Alle Maßnahmen weg jetzt sofort“ (das ist eine scheiß Idee)
- Der Irrglaube, dass dann alles wieder besser oder gar „so wie früher“ ist. Dabei sind viele Probleme der Pandemie gar nicht neu, sondern wurden durch sie verstärkt.
- Ein fast schon zwanghaften Hang dazu Systemkritik mit Verschwörungen zu verwechseln, irgendwelche Mächte steuern dieses Chaos an Pandemie, ja nee ist klar
- eine schwarz-weiß Betrachtung und immer stärker verfestigte Feindbilder (Politik, Presse, Wissenschaft, Jüd*innen und die Antifa)
- das nutzen von Begriffen ohne feste Definition, die dann von jedem und jeder mit ihren eigenen Vorstellungen gefüllt werden können (Frieden/Freiheit/Wahrheit/Demokratie/…)
Das nach bald zwei Jahren der Teile der Stadtgesellschaft endlich irgendwas sagen ist ja . Wir fragen uns ur wo ihr alle davor war.
Als lokale Ärzt*innen Todesdrohungen erhalten haben. Als Bahn-Arbeiter*innen angegriffen wurde, nur weil sie aufs Masken trage hinwiesen. Als der mal verdeckte, mal ganz offenen Antisemitismus dieses Spektrums hör- und sichtbar war.
Fazit:
Wir finden, das alles zeigt mal wieder: Keine Sicherheitsbehörden, keine Stadtverwaltung nicht irgendwelche Bürgermeister*innen oder Lokalpoltiker*innen nimmt uns allen den Kampf gegen rechtes und verschwörungsideologisches Gedankengut ab.
Im Vergleich zu 2020/2021 haben wir seit November 2021 nicht mehr Gegenproteste organisiert. Schlicht aus den Gründen, dass wir nicht zwei mal die Woche sowas hinkriegen ohne auszubrennen und eben nicht mehr weiter nur Querdenken in ihren wahnsinnigen Verschwörungs-Fuchsbau hinterherrennen wollen.
Aktuell halten wir es für sinnvoll, die Proteste der Medizin Studierenden zu unterstützen und teilen dementsprechend die Aufrufe. Unserer Meinung nach, werden die Spaziergänge davon nicht verschwinden – solange sie ungestört laufen können werden sie das auch weiterhin tun. Und das vor allem Verschwörungsideologische Gedankengut was seit zwei Jahren sich dort weitestgehend ungestört verbreiten konnte wird nicht nach diesem Winter und nach dieser Pandemie einfach verschwinden.
Eine Möglichkeit, die wir alle haben, ist es uns besser zu organisieren. Es gibt keine bessere Zeit als jetzt eine Bezugsgrupe zu Gründen, lokalen Gruppen beizutreten (hey na, wie wärs?) oder gar neue zu gründen.
Wenn wir wollen, dass sich etwas verändert, müssen wir es selbst in die Hände nehmen.