Ausführungen zur sogenannten Grauzone

Unsere Ausführungen zur sogenannten Grauzone am Beispiel eines in der Region stattfindenden Festivals: In diesem Jahr findet bereits zum zweiten Mal das „Rock Dein Leben“-Festival in Laichingen statt.

Auch dieses Mal sind wieder Bands auf dem Line-up, welche durchaus problematisch sind. Im Folgenden wollen wir beleuchten, warum das der Fall ist und warum wir der Ansicht sind, dass der Laichinger Segelflugverein diesem Festival nicht den Ort zur Verfügung stellen sollte.

Wir rufen auf zu Protesten:

– Laichingen Marktplatz, 20.07. um 14 Uhr
– Winnenden Bahnhof, 26.07. um 19 Uhr

Alles Nazis, oder was?
Wir bezeichnen die Bands definitiv nicht als Nazis, das wäre viel zu einfach und falsch. Klassische Nazis sind in der Regel neben ihrem Gedankengut gut organisiert und gewalttätig.
Das trifft weder auf die Bands noch das Publikum des Festivals zu. Ein offenes Bekenntnis zu rechtsradikalem Gedankengut bleibt aus. Vielmehr findet eine Distanzierung von diesem statt. Dennoch gibt es Inhalte, Aussagen und Vernetzungen, welche in unseren Augen offenzulegen und anzugreifen sind.
Das gesamte Festival ist ein Sammelsurium der sogenannten Grauzone, auch bezeichnet als „rechte Lebenswelten“. Mit der Grauzone sind Schnittstellen zwischen der gesellschaftlich anerkannten Mainstream-Musik und der rechtsextremen Szene gemeint. Die verschiedenen musikalischen Milieus der Grauzonen vertreten rechte Ideologieelemente und haben zum Teil ernstzunehmende ästhetische, historische oder strukturelle Verstrickungen mit extremen Rechten. Damit wird der Eintritt zu dieser Szene durch Musik ermöglicht. Daher muss Kritik bereits dort ansetzen, wo menschenfeindlichen Positionen Zugang gewährt wird und eine Normalisierung völkischer und sexistischer Positionen stattfindet.

Konkret kritisieren wir folgende Punkte:

– Stereotype Rollenbilder und sexistische Geschlechterklischees
– Verstrickungen in das rechtsextreme Milieu einiger Bands
– Völkische Weltbilder (Blut-und-Boden-Ideologie antisemitische Elemente, Bezug zur „Volksgemeinschaft“, …)
– Image und selbst gewählte Opferrolle primär als Aufmerksamkeitsfaktor (= Gewinnsteigerung)

Stereotype Rollenbild und sexistische Geschlechterklischees:


In einem Redebeitrag vom letzten Jahr haben wir es so ausgedrückt: „wütende Musik für wütende Männer von wütenden Männern“.
Das stimmt natürlich nicht ganz, immerhin „dürfen“ während des gesamten Festivals sogar insgesamt vier Frauen auf die Bühne.
Aber auch in den Liedtexten ist eine zweidimensionale Darstellung von Frauen üblich und vorherrschend: Entweder sie werden verehrt und als Engel dargestellt. Oder sie werden verachtet, weil sie untreu, falsch und hinterhältig seien. Dass Frauen mehr sind als nur treue oder untreue Partnerinnen kommt in diesen Gedankenwelten nicht vor.

Beispiel gefällig?
Zwei der meist geklickten Lieder des Headliners Frei.Wilds „Weil du mich nur verarscht hast“ (2013) und „Wie ein schützender Engel“ (2015): Im ersten Beispiel wird einer Frau, die fremd gegangen ist, jeglicher grundlegender Respekt abgesprochen. Die frauenverachtenden Strophen lauten „Das kommt davon, dass du mich damals nur verarscht hast / […] Jeden Ansatz an Respekt haben alle an dir verloren“. Im zweiten Lied wird das Normbild der Frau dann wie folgt dargestellt: „Mein größter Halt und mein Segel / Trägst so viele Lasten […] Deine Hand führte mich sicher / Aus jedem finsteren Tal“.¹ Die Frau als Stütze des Mannes, sie sei nur für diesen da, gibt Halt in schweren Zeiten und sorgt vor allem bei emotionalen Schieflagen als Ausgleich. Diese sexistische Darstellung von Frauen lehnen wir strikt ab. Dass Frauen auch eigene Ziele haben, ihre Rolle es eben nicht sein sollte, den Mann zu stützen und seine emotionale Verwahrlosung auszuhalten, wollen wir entgegenhalten.
Weitaus widerlicher und zutiefst menschenverachtend ist die Punkband Zaunpfahl in ihrem Frauenbild. Zwar singen sie Lieder, in welchen sie sich gegen Nazis positionieren, das macht andere Aussagen aber um keinen Deut besser. Neben Liedern wie „Ja wir lieben alle Frauen“, in dem sich beispielsweise die Textpassage „Und starren wir auf euren Busen / Dann wollen wir nur schmusen / Und starren wir auch euren Po / Dann passiert das einfach so“ findet. Dies ist auch kein Einzelfall: auch in „Ob sie will oder nicht“ geht es im Allgemeinen darum, Frauen als reine Objekte zur männlichen Bedürfnisbefriedigung darzustellen. Inhaltlich bestätigt sich, was der Titel vermuten lässt: Sie besingen eine Vergewaltigung und nehmen dabei noch in Anspruch zu sagen, „was jeder denkt“. Selbst wenn es „ironisch“ sei, wie manche behaupten, ist das Lied immer noch verachtenswert. In Anbetracht dessen, dass ein Großteil der Frauen und mit ihnen auch Queers⁵ regelmäßig von Übergriffen betroffen sind, sollte vielmehr dagegen angegangen und das eigene Verhalten reflektiert werden, anstatt als männliche Band frauenverachtende Lieder zu singen.²

Verstrickungen in rechtsextremes Milieu:
Nicht nur für die eigenen Texte sind die Bands zu verantworten, sondern auch – in einem gewissem Rahmen – für gemeinsame Auftritte mit anderen Bands und für Verbindungen zu diesen. Denn durch Auftritte mit rechten oder völkischen Bands sorgen sie nicht für eine Diversifizierung und Demokratisierung des Programms, sondern sorgen dafür, dass ihre eigenen Fans auch die Musik der anderen Bands anhören. Sie zeigen damit, dass das Gedankengut der Anderen sie nicht wesentlich stört und sie sich davon nicht distanzieren. Die Gemeinsamkeiten sind also groß genug, um auf der selben Bühne zu spielen. Auch hier ist wieder Zaunpfahl zu nennen. Diese treten gerne mal mit „Booze & Glory“ oder „Toxpack“ auf, welche sich wiederum im Rechtsrock-Millieu RAC (Rock Against Communism) herumtreiben.
Gemeinsame Auftritte mit den Bands „Krawallbrüder“ und „Berserker“ können alle aufweisen, die im letzten Jahr in Laichingen spielten, denn diesen wurde dort bereits eine Bühne geboten. Beide kritisierten wir bereits für einen offenen Aufruf zu Lynchjustiz.
Obligatorisch ist die Vergangenheit von Frei.Wild und Unantastbar zu nennen. Zwar distanzierten sie sich davon, was wir definitiv nicht übersehen und auch ein Wandel in den Texten ist nicht unwesentlich. Trotz des Wandels ist aber keine Abkehr von völkischem Gedankengut zu erkennen wie der nächste Absatz zeigen soll.
Aktuell wurde aufgedeckt, wie einige Konzerte von J.B.Os aktueller Tour in Zusammenarbeit mit rechtsextremen Firmen organisiert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht klar, ob die Band selbst über das Weltbild ihrer Kooperationspartner*innen informiert war. Unabhängig davon zeigt der Vorfall jedoch eindeutig, wie schnell mit rechtsextremen Strukturen zusammengearbeitet wird und diese somit finanziell unterstützt werden, was gerade Milieu der Grauzone auf Grund mangelnder Distanz wahrscheinlicher ist.⁹

Fan-Kult in der rechten Szene
In einer Sendung des neonazistischen Internet-TV-Kanals FSN-TV wurde im Oktober 2012 über Frei.Wild diskutiert. Moderator Patrick Schröder geriet ins Schwärmen: »Da kann mir keiner was sagen, das ist absolut patriotisch. Es ist nicht 100 Prozent nationaler Widerstand. (…) Aber das erwarten wir nicht. (…) Wir haben aus dieser Band, haben wir also die Möglichkeit, noch in extremeren Maße mehr zu profitieren, als eben durch die Böhsen Onkelz.«
Nachdem die Echo-Nominierung für Frei.Wild 2013 zurückgenommen wurde, veranstaltete die NPD in Berlin eine Solidaritätsmahnwache für die Band. Im Aufruf hieß es: „Offenbar haben die linken Meinungsdiktatoren große Angst vor der überall aufkeimenden rechten Gegenkultur. Vor allem in der Musik betreten immer mehr heimattreue Künstler die Bühne und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Die Nachfrage scheint also gegeben und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Bürger vom linken Pöbel nicht mehr diktieren lassen, was sie zu hören und zu mögen haben.“⁶
Auf zahlreichen Neonazi Samplers (Musik CD’s mit Liedern von verschiedenen Gruppen) finden sich Lieder der Band. Zum Beispiel auf dem Nadsat Sampler #1 auf der auch Blood&Hounur Bands vertreten sind oder auf „NS-Sampler – Vol.14“ und „NS-Sampler – Vol.21“. Diese CD’s sind zwar keine offizielle Veröffentlichungen von Labels, zeigen aber wie beliebt die Musik bei Neo-Nazis ist. ⁷

Völkische Weltbilder (Blut-und-Boden-Ideologie, antisemitisch Elemente, Bezug zur „Volksgemeinschaft“, …)
Die Band „Leidbild“ fällt mit AfD- ähnlichen Aussagen in „(D)eine Wahrheit“ auf, wenn sie singen: „Diese Zeilen sind für dich mein Freund, erwarte keine Zuneigung […] Du grenzt niemanden aus, bist politisch voll korrekt […] Du kennst dich aus, deine Weisheit dominant / Aufgeklärt, weltoffen und ach so tolerant! […] Machst dich stark für Minderheiten, gehst auf die Straße demonstriern“ und zum Schluss kommt, eine solche Person sei „[…] wortwörtlich asozial!“ „Asozial“ war eine Bezeichnung unter der Nationalsozialist*innen Menschen beispielsweise durch Deportation in Konzentrationslager verfolgten, die von ihrer Norm abwichen. Der Band ist das vermutlich aus mangelndem Geschichtsbewusstsein nicht bekannt. Deutlich jedenfalls ist die Abgrenzung von links, von politischer Korrektheit, vom Starkmachen für Minderheiten und von Weltoffenheit. Was dem entgegengestellt werden soll, bleibt zwar unausgesprochen, dürfte aber klar sein.
Völkisch zeigen sich Frei.Wild: „Da, wo wir leben, da wo wir stehen / Ist unser Erbe, liegt unser Segen / Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache“, „Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen / Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen“. Das erste Zitat ist als Anspielung auf die Blut-und-Boden-Ideologie zu verstehen, das zweite kann durchaus als Abkehr von einer Erinnerungskultur, welche sich der Schuld Deutschlands am Nationalsozialismus bewusst ist, verstanden werden.³
Im Lied „Gutmenschen und Moralapostel“ spielt Frei.Wild auf das antisemitische Stereotyp von angeblich reichen Juden und Jüd*innen an. Vor allem „Geschichte, die noch Kohle bringt“ ist eine Verdrehung der grausamen Ereignisse der Verfolgung jüdischer Menschen, welche nun angeblich nur dafür genutzt werden, um noch Geld zu machen. Das ist zum Beispiel auch eine Aussage, die Leonard Fregin, ehemals Youtuber der Identitären „Bewegung“, von sich gab.

Profitorientierte politische Haltung der Veranstaltenden
Wie auch im vergangenen Jahr wird das Festival von der Pro Trage Integra GmbH veranstaltet. Diese hat ihren Sitz in Winnenden, so wirklich lokal verankert ist die Veranstaltung also nicht. Früher hieß die Pro Trade Integra „nixgut“ und vertrieb linke Mechanisie-Artikel und Bands. Vielleicht ist der „Hakenkreuz-Prozess“ manchen noch ein Begriff, in dem das Label für die Produktion von Artikeln verklagt wurde, auf denen Hakenkreuze zu sehen waren – allerdings durchgestrichen oder in den Mülleimer geworfen. „So rechts kann das Ganze ja dann gar nicht sein“, mag jetzt der Gedankengang sein.
Jedoch ist ein Sinneswandel nicht von der Hand zu weisen und begann mit dem Vertrieb von „Frei.Wild“ im Jahr 2009. Ein entscheidender Faktor dabei mag Geld gespielt haben. In der rechtsoffenen Szene lässt sich wohl mehr Geld machen. Linke Bands verabschiedeten sich schnell vom Unternehmen und bewiesen Haltung.

Auch Frei.Wild kann hier gut noch erwähnt werden:
„Doch die Band dreht das Prinzip um. »Frei.Wild« sind spießbürgerlich bis in die Haarspitzen und berauschen die Fans mit blumigen Rebellionsphantasien. Sie vermitteln eine Identität des »anders sein« und schaffen es damit tatsächlich auf Festivals, die unter dem Motto »Die Rebellion geht weiter!« angekündigt sind. »Rebellisch« sind allenfalls die Attitüden, wenn die Band jeder Kritik den »Mittelfinger« entgegen streckt und vorgibt, »aus dem Rahmen der Gesellschaft« zu fallen. Das ist ihr schlichtes Erfolgsrezept, bis ins Detail kopiert von den »Böhsen Onkelz«.“ ⁸

Eigendarstellung
Wer sich allein das Plakat mit dem Line-up dieses Jahres anschaut, erkennt sofort die Zeile „R-D-L gegen Rassismus, Faschismus und Intoleranz“. Diese Darstellung erzeugt ein weltoffenes Bild, doch ist Teil einer Strategie. Ihrer Kritik begegnen diese Gruppen mit einer Vielzahl bekannter „Gegenargumente“:

Dramatisierung
Kritik wird verfälscht dargestellt, indem behauptet wird, kritische Menschen würden sie als Nazis bezeichnen. Ein typisches Strohmann-Argument, da dieser Vorwurf tatsächlich sehr selten getätigt wird. So wird ein doppelter Effekt erzielt: zum einen wird die inhaltliche Kritik verunglimpft und zum anderen nimmt die Band eine Opferrolle ein.

„Wir sind unpolitisch“
Immer wieder versuchen sich die Bands als unpolitisch darzustellen. Das hinderte den Leadsänger Philipp Burger von Frei.Wild nicht daran sich 2007 in den Bezirksvorstand der rechtspopulistischen südtiroler Partei „Die Freiheitlichen“ wählen zu lassen und auf Wahlveranstaltungen Konzerte zu spielen.⁴

Distanzierung
Dennoch treffen die Band doch immer wieder indirekt politische Aussagen: sie distanzieren sich von „allem Extremistischen“ oder allgemein von „der Politik“. Dass diese Statements oft nur Lippenbekenntnisse und strategisch sind, kann gut anhand der Reaktion auf die Kritik von Philipp Burger (Frei.Wild) auf seine Verstrickung mit „Die Freiheitliche“-Partei aufgezeigt werden:
„Was die Mitgliedschaft bei den Freiheitlichen betrifft: Ich bin aus der Partei wieder ausgetreten und habe auch das Amt niedergelegt, aber nicht etwa deswegen, weil ich Schuldgefühle habe oder mit dem Parteiprogramm nicht einverstanden wäre, soviel ist sicher, sondern weil ich, vor allem nach der Aussprache mit der Crew, eingesehen habe, dass es etwas zwiespältig ist, Parteimitglied zu sein und gleichzeitig Distanz vor der gesamten Politik zu nehmen, da gebe ich euch recht und habe meine Konsequenzen gezogen.“ Damit zeigt Burger offen, dass es nicht die Inhalte der Partei sind, die ihn zum Austritt bewegt haben. Er bestätigt gerade, weiterhin zu diesen Inhalten zu stehen.

„Wir gegen alle“ oder „Alle gegen uns“
Wie in ihren Texten erkennbar, stellt sich Frei.Wild als eine Art Widerstandsgruppe gegen alle dar. Besonders von Rechts- und Linksextremen sehen sie sich konstant angegriffen. In der Realität gibt es jedoch keine Kritik von Rechtsextremen, sondern höchstens Applaus.
Nebenbei wird Rechtsextremismus und Linksradikalität gleichgesetzt, was deutliche inhaltliche und strukturelle Unterschiede völlig ignoriert.
Das sind eins zu eins die Strategien, die sich aktuell durch die gesamte Rechtskonservativen bis zu rechtsradikalen Szene ziehen. Von AfD über Junge Alternative, FPÖ bis hin zu den Identitären. Sie alle nutzen viele dieser strategischen Argumentationsmuster um Kritik zu diffamieren.

¹ https://genius.com/Freiwild-weil-du-mich-nur-verarscht-hast-lyrics & https://genius.com/Freiwild-wie-ein-schutzender-engel-lyrics
² http://www.tueinfo.org/cms/node/23971
³ („Wahre Werte“, auf „Gegengift“, 2010), https://genius.com/Freiwild-sudtirol-lyrics, https://genius.com/Freiwild-volkerrecht-lyrics
⁴ http://oireszene.blogsport.de/2009/10/19/freiwild-weiter-immer-weiter
⁵ Personen(gruppen) die sich nicht als heterosexuell oder cisgender – also nicht dem Geschlecht zugehörig, dem sie bei Geburt zugeordnet wurden – begreifen. Dazu gehören zum Beispiel Lesben, Schwule, Trans*, Inter*, Bisexuelle, Asexuelle … Der Begriff Queer fasst im Gegensatz zu der Aufzählung alle Identitäten und vor allem die Nichtidentität. Nichtidentifizierung mit Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität.
⁶ Seite NPD Berlin, Screenshot unten
⁷ http://oireszene.blogsport.de/2010/11/12/freiwild-und-die-nazivergangenheit/
⁸ https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-band-%c2%bbfreiwild%c2%ab-zwischen-kitsch-und-subkultur
⁹ https://de.indymedia.org/node/33209