Wird Querdenken zu einer Plattform von Reichsbürger*innen?
Die Geschichte von „Querdenken Ulm“ ist von Beginn eine der Radikalisierung nach rechts. Verschwörungideologien, welche am Anfang nur einen Teil der Inhalte ausmachten sind mittlerweile zentraler Bestandteil. Vor allem die rechte Reichsbürgerideologie gewinnt momentan dem Anschein nach die Oberhand. Immer wieder stellen sich dabei zahlreiche Gruppen „Querdenken“ entgegen. Bisher jedoch mit begrenztem Erfolg.
In Ulm gibt es seit Anfang April Kundgebungen zu Corona, bei welchen zuerst vor allem eine Kritik an den Maßnahmen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes eine große Rolle spielte. Der positive Bezug auf das Grundgesetz schien obligatorisch. Doch auch dabei gab es bereits Kritik an den Organisator*innen, welche anfangs aus Einzelpersonen bestand. Es fehle eine Abgrenzung nach rechtsaußen und zu Verschwörungsideologien.¹ Bei der ersten Veranstaltung am 4. April in Ulm wurde auf verteilten Flyern auf den Account „Stay.Critical“ verwiesen, der „Inhalte von einschlägigen Plattformen wie KenFM und Rubikon [teilte] sowie Vergleiche der aktuellen Zustände mit der Verfolgung von Jüd*innen, Sinit und Roma im dritten Reich.“²
Jedoch gab es noch keine gefestigte Struktur und keine klare Ausrichtung, weswegen es auch am 25. April eine Solidarisierung mit Geflüchteten und einer Kritik an deren Situation durch Teile der Demonstrierenden gab. Florian*, einer der damaligen Teilnehmenden, berichtete „unter dem Motto Menschenrechte für alle wollten wir auf die Probleme in Moria hinweisen. Anschließend wurden jedoch die Positionen zunehmend Verschwörungstheoretischer, es radikalisierte sich nach rechts durch beispielsweise die AfD und andere rechte Akteure.“ Am 2.05. folgten in Ulm 50 Leute einem Aufruf vom als antisemitisch und verschwörungstheoretisch geltenden Ken Jebsen. Und am 9.5. bei der ersten Querdenker-Demonstration (von Markus Haintz organisiert) nahmen zahlreiche extreme Rechte teil. So auch die ungefähr 100 Personen, die sich zuvor bei einem „Spaziergang“ der AfD durch die Innenstadt beteiligten. Eugen Ciresa von der AfD hielt am selben Tag bei Querdenken eine Rede.² „Einige Organisierenden und Teilnehmenden distanzierten sich davon“ berichtet Florian. „Manche sind daraufhin auch gegen Querdenken aktiv geworden.“
Bei den darauf folgenden Kundgebungen gab es folglich Proteste gegen Querdenken durch Einzelpersonen die sich als „Spontanes Antifa Team Zentral-Ulm (SPATZ)“ bezeichneten. „Wir protestierten ohne Genehmigung, da die Stadt Ulm nicht bereit war einen Gegenprotest zuzulassen. Doch uns war es wichtig gegen die rechten Tendenzen und eine fehlende Abgrenzung gegenüber Rechten Stellung zu beziehen“ berichtete eine Aktivistin, die Anonym bleiben will. Am 6. Juni, organisierte schließlich das „Kollektiv.26 – Autonome Gruppe Ulm eine Demonstration auf dem Münsterplatz. Ein würdiges Leben für Alle! Solidarisch Gemeinsam mit klarer Kante gegen Rechts!“³ war dabei das Motto. Mit der Aktion, bei der sich unter anderem Die Linke und das Pflegebündnis beteiligten, schafften sie es Querdenken zeitweise aus der Innenstadt zu verdrängen.
Als am 20.9. eine Großdemonstration in Ulm geplant wurde, gab es Kritik an der Bezugnahme auf die Weiße Rose durch „Querdenken“. „Eine Traditionslinie von ‚Querdenken-731‘ zur Widerstandsgruppe ‚Weißen Rose‘ besteht nicht. Was wir hier erleben, ist der durchsichtige Versuch, den Widerstand gegen eine menschenverachtende Diktatur in einer völlig anderen Konstellation für die eigenen Zwecke zu missbrauchen.“ Die 40 Unterzeichnenden der Ulmer Stadtgemeinschaft waren dabei der Meinung, dass bei Verschwörungstheoretikern ein Problem der Wahrnehmung bestünde und man die selbsternannten „Querdenkerinnen“ nicht ernst nehmen könne. Doch wie ernst diese es meinen zeigen diese teilweise mit Gewalt¹⁰, aber auch mit Beharrlichkeit.⁶ ⁷
Nun ist Querdenken wieder zurück am Münsterplatz. Dagegen bezieht nun ein von den Jusos Ulm initiiertes Bündnis Position. Beteiligt ist unter anderem auch wieder das Kollektiv.26: „Auf Kundgebungen von Querdenken 731 in Ulm wurde nicht nur die Existenz von Corona und Viren generell geleugnet, sondern es wurden auch Symboliken von Verschwörungserzählungen wie Q-Anon gezeigt und die Beteiligung verschiedener extrem Rechter Gruppen geduldet.“ Weiter heißt es: „Einfachste Umgangsregeln wie Masken tragen und Abstand halten zu ignorieren sind kein Ausdruck von Freiheitsliebe, sondern von Unverantwortlichkeit und Egoismus. Menschen, die so handeln, gefährden damit nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch die ihrer Mitmenschen und nehmen den Tod vieler billigend in Kauf.“ Am schwersten betroffen seien vor allem Leute, die schon vor der Pandemie Benachteiligungen ausgesetzt waren, wie zum Beispiel geringfügig Beschäftigte, Geflüchtete oder chronisch Kranke.
Von den Jusos hieß es in einer weiteren Begründung: „Die letzten Wochen haben […] gezeigt: die Querdenker sind radikal und radikalisieren sich weiter (wie man z.B. in Berlin und Leipzig, aber auch bei Redebeiträgen hier in Ulm sehen konnte), sie verbrüdern sich mit Rechtsradikalen und Antisemiten und sie lösen sich nicht einfach so selber auf.“ Diese Einschätzung teilt auch der OB Czisch, welcher die demokratische Grundordnung angegriffen sieht. Martin Rivoir weist in dem Zusammenhang auf Reichsbürger hin.⁴ Die Rechercheplattform Rechte Umtriebe Ulm, welche die Entwicklung von „Querdenken“ seit Anfang an beobachtet, sieht vor allem in letzter Zeit eine deutliche Radikalisierung. Dem Redner Dr. Langhans unterstellen sie dabei das Verbreiten von Verschwörungstheorie und Reichsbürgerideologie. Zudem seien seine Aussagen strukturell Antisemitisch. Seine Äußerungen würden dabei mit großem Applaus aufgenommen und die Menge stimme mit ihm auch Sprechchöre an.⁵
Das neue dabei ist nicht, dass diese Ansichten bei Querdenken existieren, sondern dass sie eine so zentrale Stellung finden und in diesem Spektrum mehrheitsfähig zu sein scheinen. Auch Markus Haintz, der als eine der zentralen Figuren gilt und sich zu Beginn noch gemäßigt gab, verbreitet nun ähnliche Positionen und trat beispielsweise bei KenFM (von Ken Jebsen) und RT Deutsch auf.⁸ Auch gab er sich in Berlin und zuletzt in Leipzig aufrührerisch. Zudem trat er bei der AfD auf. Wegen seinem Auftreten und seinen Äußerungen wurde er zuletzt als Volksverhetzer und Demagoge bezeichnet.⁹
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es seit Beginn eine stetige Entwicklung nach rechts gab, die von verschiedenen Seiten für Kritik sorgte. Es ist nicht Absehbar, dass diese Entwicklung beendet ist, vielmehr ist eine weitere Radikalisierung absehbar. Gerade der Einfluss von explizit rechten Verschwörungsideologen (wie Attila Hildmann) und Reichsbürgerinnen scheint zu steigen. Damit bildet Querdenken eine Plattform für extrem rechte Vernetzung und die Radikalisierung von Einzelpersonen. Auch steigert sie den Einfluss Rechter auf die öffentliche Debatte und politische Entscheidungen. Moralische Empörung hat dem bisher nichts entgegensetzen können. Antifaschistischer Gegenprotest ohne entsprechenden Rückhalt oder Unterstützung von anderen Akteur*innen ebensowenig. Einen wirksamen Umgang gilt es also noch zu finden.
*Name geändert
¹ https://www.belltower.news/coronavirus-querfront-keine-abgrenzung-nach-rechtsaussen-98345/
⁵ https://rechteumtriebeulm.blackblogs.org/2020/11/10/querdenken-montagsdemonstration-am-09-11-20/
⁶ https://www.ulm-news.de/weblog/ulm-news/view/dt/3/article/76788/.html
⁸ https://aufabstand.noblogs.org/who-is-who/markushaintz-cleaned/
¹¹ https://rechteumtriebeulm.blackblogs.org/2020/12/01/im-kopf-des-dr-daniel-langhans/