Kritik von Links; Kundgebung gegen Querfront

  

Wir sind begeistert, dass gestern ca 120 Personen bei unserer Kundgebung waren. Danke an alle die da waren und an alle Unterstützer*innen!

(Nächsten Samstag 15:30, Münsterplatz, Black Lives Matter!)

hier noch ein paar Eindrücke:

 

Es gab zu Beginn eine Schweigeminute für George Floyd und einige Redebeiträge, die wir hier festhalten wollen. Um was es geht (in der Reihenfolge): Emanzipation, Antiziganismus, gegen Verschwörungsidiologie und Rechts; Kritik von links, Marginalisierung, Verschwörungsideologie; Gesundheitswesen, Kapitalismus, Queer, Gewalt, Solidarität.

Emanzipation, Antiziganismus, gegen Verschwörungsidiologie und Rechts

Heute sind wir hier, um den Rechten dem Münsterplatz zu nehmen. Diese verbreiten seit Wochen, unter dem Deckmantel der Maßnahmenkritik, Verschwörungsideologie und rechtes Gedankengut. Dem stellen wir uns entschieden entgegen und nutzen die Chance Alternativen aufzuzeigen und Kritik zu Formulieren.

Als fortschrittliche Kräfte sind wir darum bemüht unterdrückte Gruppen zu bestärken und im besten Fall eine Befreiung aller zu erreichen. Denn das Gute Leben für alle, ist was wir wollen, kein bisschen weniger.

Das Gerede von Grund- und Menschenrechten hilft dabei wohl kaum weiter, da diese gelten, vielen Gruppen aber kaum helfen. Denn trotz ausgeklügeltem Rechtssystem werden Personengruppen strukturell benachteiligt, Armut ist weit verbreitet und die Umwelt wird zerstört. Um dem etwas entgegenzusetzen und den Diskurs zu brechen, ist darüber zu Reden, was sonst nicht benannt wird. Das hat nichts mit einer Verschwörung zu tun, sondern liegt an Ressentiments oder Verachtung gegen gewisse Menschengruppen.

Rom*nja und Sinti zum Beispiel werden seit Jahrhunderten benachteiligt und verfolgt und sind andauernd Rassismus und Antiziganismus ausgesetzt. In Deutschland werden sie von 50% der Bevölkerung abgelehnt und im restlichen Europa sieht es nicht besser aus. Viele arbeiten in prekären Jobs, oft von Tag zu Tag und leben unter schlechten Bedingungen. Bildung, Schutz durch die Polizei und Gesundheitsversorgung sind für viele nicht zugänglich. So leiden sie besonders unter der Epidemie und haben dabei kaum Zugang zu Hilfen. Niemand kümmert sich groß darum.

Wer jetzt rechte Verschwörungsmythen verbreitet oder mit rechten läuft, kann nicht fortschrittlich sein und wünscht sich keine freie Gesellschaft. Das wollen wir heute aufzeigen und dabei deutlich machen, welche Probleme momentan tatsächlich vorhanden sind.

Solidarität geht raus an die vielfältigen Black Lives Matter Demonstrationen, die heute in ganz Deutschland stattfinden. Auch solidarisieren wir uns mit den Protesten in den USA. Wir gedenken George Floyd. Ich bitte darum jetzt eine Schweigeminute einzulegen.

 

Kritik von links, Marginalisierung, Verschwörungsideologie

Querfront. Seit Wochen treffen sich Menschen auf der Straße, vorgeblich um für „unsere Grundrechte“ zu demonstrieren. Da trifft sich eine Mischung aus besorgten Bürger*innen, Impfergegner*innen, rechten Verschwörungstheoretiker*innen, Reichsbürgern, Esoteriker*innen und extrem Rechten. In Ulm ruft die AFD dazu auf und ist von den Organisator*innen herzlich willkommen. Menschen aus der rechtsextremen Hooliganszene des SVV Ulm fühlen sich auch eingeladen und laufen dort mit.

Dass diese Menschen nicht dafür sind, die Freiheit und die Rechte aller zu schützen, liegt auf der Hand. Wer für seine Sache bereit ist mit Nazis zusammen zu arbeiten, sich daran so überhaupt gar nicht stört, und uns noch Vorwürfe macht, dass wir das kritisieren, KANN nicht von sich behaupten für Grund- und Menschenrechte zu sein.

Ordnungsamt. Gegenproteste gestalten sich seit Wochen insofern schwierig, dass seit Wochen keine Gegendemonstration auf dem Münsterplatz bewilligt wurde. Vor drei Wochen haben sich Menschen dennoch mit Transparenten an die Seite der Grundrechte-Demo gestellt, haben gegen die Anwesenheit, gegen die Zusammenarbeit mit Nazis protestiert. Haben auf antisemitische Verschwörungstheorien, die auf diesen Demos verbreitet werden, hingewiesen. Mehrere wurden dabei staatliche Repressionen ausgesetzt. In den folgenden Wochen wurden Infoflyer verteilt, Anwohner*innen informiert, die sogenannten „Grundrechte“-Demos wurden kritisch begleitet und dokumentiert. Dieser Samstag ist der erste Samstag an dem auch uns eine Versammlung auf dem Münsterplatz bewilligt wurde.

Maßnahmenkritik. Es ist völlig richtig und wichtig kritisch zu prüfen wo unter dem Deckmantel der Corona-Krise autoritäre Maßnahmen erweitert und vorbereitet werden,

wo im Zuge der Corona-Krise vorbestehende soziale Ungerechtigkeit verstärkt und befördert wird,

und welche staatlich verhängten Corona-Maßnahmen nur dem Schutz einzelner dienen, während andere im Stich gelassen oder geopfert werden.

Menschen sollen ihr soziales und kulturelles Leben der Pandemie wegen stark einschränken – den körperlichen Kontakt zu Freund*innen und Verbündeten meiden – dabei aber im Namen der Systemrelevanz weiterarbeiten, dabei Kontakt zu Kolleg*innen und unzähligen Kund*innen dulden, dies oft ohne zureichenden Schutz – Menschen in ambulanten Pflegediensten, im Lieferdienst, im Verkauf, um drei offensichtliche Beispiele von vielen zu nennen. Der Arbeitsschutz wird im Gesundheitsbereich gelockert, die maximale Arbeitszeit verlängert.

Pflege. Es ist hier wichtig zu betonen, dass von Pflegekräften ausgehend, seit JAHREN Proteste gegen die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitssystems, den immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen und Ausbeutung von Arbeiter*innen in Medizin und Pflege stattfinden. Auch hier in Ulm. Schon lange vor Corona. Die Krise war schon lange da. Pflegekräfte und medizinische Arbeiter*innen bekommen nun ein bisschen Lob und ein bisschen Applaus, auf reale materielle Hilfe – bessere Bezahlung und vor allem deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen und strukturelle Veränderungen des Gesundheitssystems – auf eine konkrete Antwort auf ihren Protest – müssen sie verzichten. Geplant sind im Gegenteil „nach der Krise“ noch weitere Einsparungen.

Arbeit. Andere Menschen werden mitten in der Pandemie gekündigt. Der Ulmer Drogeriekonzern Müller zum Beispiel hat um Geld zu sparen, mitten in der Corona-Krise, über 20 Mitarbeiterinnen gekündigt. Andere Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit, um ihre Profite zu sichern.

Marginalisierung. Bei allen staatlich verordneten und durchgeführten Corona-Maßnahmen ist immer eine Frage ganz interessant: Wer wird beschützt? Und wer wird der Sache wegen geopfert?

Vielen Menschen wird das Befolgen der Maßnahmen unmöglich gemacht – sie werden bei den Verordnungen nicht mitgedacht.

Wie sollen wohnungslose Menschen zu Hause bleiben? Wie sollen Gefangene und Heimbewohner*innen auf Abstand gehen? Wie sollen Geflüchtete, die dicht gedrängt in Geflüchtetenunterkünften leben die Schutzmaßnahmen einhalten? Hier offenbart sich eine hässliche Wirklichkeit: Manche von uns sollen beschützt werden, andere nicht.

Geflüchtete. In der Landesaufnahmestelle Ellwangen, wo sich 50 Menschen eine Toilette und einen Waschraum teilten, in der Menschen auf dichtestem Raum aufeinander sitzen, war eine schnelle Infektionsausbreitung vorprogrammiert. Und so kam es – Mitte Mai waren mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und viele Beschäftigte positiv auf Corona getestet worden. In Bayern ist ein Geflüchteter an COVID-19 verstorben, nachdem er sich im Anker-Zentrum Schweinfurt infiziert hat. In ganz Deutschland war an vielen Orten die Reaktion auf das Problem nicht etwa die Menschen schnellstmöglich — heißt gleich zu Beginn der Pandemie — aus diesen Zuständen heraus zu holen und in würdige Unterkünfte zu verteilen. Sondern die Türen zu schließen – die gesamte Geflüchteteneinrichtung unter Quarantäne zu setzen, keiner soll rein, keiner soll raus. Diese Szenarien kennen wir alle aus irgendwelchen apokalyptischen Aktion-Filmen, da wird es ganz eindeutig als moralischen Horror dargestellt. Hier bekommen viele es kaum mit oder finden es irgendwie normal. In Ellwangen ist es nun nach massiven, wochenlangen Protesten gegen die menschenunwürdigen Zustände gelungen, die Verlegung von 100 Geflüchteten in andere Unterkünfte zu erreichen. Immerhin.

Gleichheit. Wir alle sind betroffen von dem, was in der Krise passiert. Von dem, was uns zugemutet wird. Aber vor dem Virus – und vor den Maßnahmen – sind eben nicht alle gleich.

Wer passt auf die Kinder auf, wenn die KiTas und Schulen geschlossen haben? Wer hat überhaupt Zugang zu einer medizinischen Versorgung? Wer pflegt hilfsbedürftige Angehörige?

Manche Menschen werden durch die Maßnahmen in noch größere Gefahr gebracht als sie ohnehin schon waren.

Kindern, die zu Hause in ihren Familien Misshandlung oder Missachtung ausgesetzt sind, fällt durch Schließung von Schulen, KiTas und anderen Orten die paar Stunden am Tag weg, in denen sie sich zumindest in einem anderen Umfeld aufhalten können.

Frauen, die in ihren Partnerschaften Gewalt erleben sind unter #stayathome Bedingungen besonders gefährdet.

Für Menschen, die auch zu besten Zeiten sozial isoliert und dauerhaft beeinträchtigt leben, bricht vielleicht die letzte Stütze weg.

Eine echte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Lebensrealitäten – was es eigentlich bedeutet, für Menschen, so viele Wochen so auszuharren, unter Gewalt, in sozialer Isolation, oder in seelischem Leid – bleibt aus.

Kleinfamilie. Gewalt. Während der Corona-Krise findet eine Rückkehr zur bürgerlichen Kleinfamilie statt. Menschen verbringen Zeit mit ihren Partner*innen, Kleinfamilien und engsten Freunden, alles andere bricht weg. Wer nicht gut zurecht kommt, dem wird selbst die Schuld dafür gegeben.

Die Corona-Maßnahmen sollen dem Schutz der „Risikogruppen“ dienen, also den Geschwächten und Kranken. Gleichzeitig wurden gerade diese Geschwächten und Kranken in größere Not gebracht. Hilfsangebote entfallen. Alles, was nicht absolut dringlich notwendig ist, wird gestrichen, aufgrund der Krise. Menschen sollen, für eine Krise des Gesundheitswesens, die sie nicht verschuldet haben, unter der sie als Patient*innen vermutlich selbst schon gelitten haben, nun halt mal die Arschbacken zusammenkneifen und selbst sehen, wie sie zurecht kommen.

Bullshit. Gleichzeitig wird für die wirklich wichtigen Dinge alles mögliche möglich gemacht – Erntehelfer für die Spargelernte en masse einreisen lassen, Rettungspakete für Großkonzerne – das muss ja immerhin sein.

Verschwörungsideologie.

Ja, zu kritisieren gibt es viel —

es ist hier nun wichtig zu betonen, dass eine Auseinandersetzung mit diesen Themen bei den sogenannten „Grundrechte“-Demos weitgehend ausbleibt.

Da geht es kaum darum, ein ungerechtes System zu kritisieren. Dort wird ja gar nicht von struktureller Veränderung geredet, von Veränderungen am System und an den Verhältnissen. Sondern davon, dass eine kleine Gruppe einzelner sehr böser Menschen die Fäden der Macht in der Hand halten und hinterrücks alles manipulieren. Und wenn diese Einzelnen sehr bösen Menschen nicht wären, wäre auch das Problem nicht da. 

Und das ist nicht richtig und geht auch voll am Problem vorbei, und ist außerdem gefährlich.

Viele Verschwörungsideologien drehen sich darum, dass diese heimliche Gruppe von Machtträgern, die die Fäden in der Hand halten, die die Kriege verursachen, und so weiter, dass das die Juden sind. Manchmal wird das benannt, manchmal nicht. Manchmal wird dann statt dessen „die Eliten“ oder „die Rothschilds“ oder ähnliches an Codes benutzt. Es lohnt sich das genauer anzuschauen – wer wird ins Visier genommen, wer nicht? Was ist denn gemeint mit „denen da oben mit der Macht“? Ken Jebsen, z.B., dessen Aufruf zum Meditieren doch auch in Ulm viele gefolgt sind, der unter den Ulmer Corona-Kritikern — auch die, die sich „von rechts distanzieren wollen“ — so beliebt ist, ist offen antisemitisch. Er benennt, ganz klar, die Juden als das angebliche Problem. Kein Mensch, der sich seiner Sache anschließt, darf von sich behaupten, für Frieden, für Menschen- und Grundrechte zu sein !

Wir wollen Freiheit und ein gutes Leben für alle !

 

Gesundheitswesen, Kapitalismus, Queer, Gewalt, Solidarität

Virus  und Ursache. Das Virus Covid-19 hat eine weltweite Pandemie verursacht, die in vielen Ländern sehr viele Tode verursacht hat und weiterhin verursacht. Das ist höchst tragisch, und es ist falsch ein solches Virus, das vielen Menschen das Leben kostet, zu verharmlosen oder zu verleugnen. Corona wurde auch von niemandem verursacht oder erfunden, weder von Bill Gates noch von der Regierung oder irgendeiner Elite. Dennoch sollte man danach fragen, warum und wie diese Pandemie verursacht wurde und wer dafür verantwortlich ist.

Krankheitserregern wie Covid-19 wurden durch Massentierhaltung, Monokulturen, Abholzung und Zerstörung von Lebensräumen die besten Vorraumsetzungen für ihre Entwicklung und Verbreitung gegeben. Denn überall, wo zum Beispiel durch Plantagen und Massentierhaltung Wildtiere aus ihren Lebensräumen vertrieben werden die daraufhin in andere Bereiche ausweichen müssen, entstehen neue Kontakte, wodurch Krankheitserreger wie Viren von Wildtieren auf Menschen oder Nutztiere überspringen können. Dies wusste man bereits lange vor dem Ausbruch der Pandemie, trotzdem wurde nichts dagegen unternommen. Wenn ein natürliches Ereignis in einer menschlichen Gesellschaft katastrophale Folgen hat, liegt das auch daran, dass die Gesellschaft nicht ausreichend darauf vorbereitet war. Epidemiolog:innen warnten bereits frühzeitig vor dem Eintreten einer Pandemie, dennoch wurde sich nicht angemessen darauf vorbereitet. Im Gegenteil, das Gesundheitssystem wurde auch in Deutschland immer weiter privatisiert und kaputtgespart.

Gesundheitswesen und Kapitalismus. Im Moment sagen viele, dass Deutschland insgesamt im Vergleich zu Ländern wie Spanien und Italien noch ein besseres Gesundheitssystem hat. Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland nicht trotzdem auch bei der Privatisierung, Ökonomisierung und beim Stellenabbau im Gesundheitswesen mitgemacht hat. Auch hier wurde das Gesundheitswesen gezielt der kapitalistischen Verwertung unterworfen. Staatliche Gesundheitseinrichtungen werden durch Kürzungen im Budget ineffizient gemacht und dann wird die Privatisierung als letzter Ausweg präsentiert. Zwischen 1995 und 2010 hat sich der Anteil privater Krankenhäuser verdoppelt und insgesamt hat sich die Zahl der Krankenhäuser um 11% reduziert. Noch kurz vor Ausbruch der Corona Pandemie in Deutschland wollte Gesundheitsminister Jens Spahn die Bettenkapazität in öffentlichen Krankenhäusern um 50.000 Stück reduzieren. Die Gesundheitsversorgung ist zu einer Ware geworden, mit der private Betreiber auf Kosten der Beschäftigten und den Patienten Gewinne erzielen.​​​​​​​ Die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen sind schlecht, trotz steigender Arbeitslast und steigender Lebenserhaltungskosten sind die Löhne für Pflegekräfte gleich geblieben oder gesunken. Besonders in privaten Kliniken verdienen Pflegekräfte noch weniger Geld als an öffentlichen Einrichtungen, weil an den Löhnen am meisten gespart werden kann. Dies ist ein Problem, was auch schon vor Corona bestand, das aber durch die Corona Pandemie noch stärker hervorgehoben wurde. Aber statt dieses Problem endlich anzugehen, wird dazu aufgerufen für Krankenpfleger*innen und Menschen in systemrelevanten Berufen aus Beifall zu klatschen. Sie werden als „Helden“ bezeichnet, die ihre eigenen Gesundheit aufs Spiel setzen. Dabei wird komplett ignoriert, dass die Meisten von ihnen keine andere Wahl haben, sie sind Opfer des Kapitalismus. Der Staat weigert sich, seine Ressourcen an Lebensmitteln und Wohnraum den Menschen  zugänglich zu machen, und zwingt sie so, jede Arbeit zu jedem Gehalt anzunehmen. Menschen in lebensrelevanten Berufen brauchen keine Klatscherei, keine Merci Schokolade oder warme Worte! Sie brauchen Leute, die sich für mehr Lohn, mehr Personal,  Gefahrenzulagen und kürzere Arbeitszeiten für sie einsetzen. Ihnen „Danke“ zu sagen, ohne aktiv etwas an ihrer Situation zu ändern ist eine Beleidigung. Die Spitze des Eisberges ist es dann auch noch, Geld für Werbespots auszugeben, die Krankenpfleger*innen und Menschen in systemrelevanten Berufen ihren Dank aussprechen, statt das Geld direkt an sie zu zahlen. Von Applaus kann niemand die Miete bezahlen. 

Wie schlecht wir auf die Pandemie vorbereitet waren wird auch daran deutlich, wie schnell es zu Knappheiten bei Desinfektionsmittel und Schutzmasken kam. Apotheken mussten Desinfektionsmittel selbst herstellen, was teurer ist und auch Krankenhäuser hatten Probleme genügend Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung zu bekommen. Und auch wenn es später als die Maskenpflicht beschlossen wurde wieder genügend Schutzmasken zum Verkauf gab, hätte die Regierung Desinfektionsmittel und Masken auch kostenlos zur Verfügung stellen müssen, um es wirklich allen Menschen zu ermöglichen sich ausreichend zu schützen. 

Covid-19 wird wahrscheinlich nicht die letzte Pandemie bleiben, vor allem da die Zerstörung natürlicher Lebensräume, Massentierhaltung und die globale Erwärmung weiter voranschreiten. Es ist längst Zeit, sich darauf vorzubereiten. Deswegen ist klar: Mindestens der Gesundheitssektor muss der neoliberalen Profitlogik enthoben bleiben! Und wenn die Profitlogik an dieser Stelle nicht funktioniert stellt das in unseren Augen auch das gesamte System in Frage.

Private Kontaktbeschränkungen sind auch deswegen so wichtig geworden, weil die nationalen Gesundheitssysteme durch ihre Privatisierung und Schwächung keine anderen zentralen wirksamen Maßnahmen ergreifen konnten. Es geht darum, unser kaputtgespartes und profitorientiertes Gesundheitssystem jetzt nicht zu überlasten, indem Fallzahlen möglichst gering gehalten werden sollen. Zu Beginn der Corona Kriese wurde deshalb überall der Hashtag #stayathome verbreitet und die von der Regierung beschlossenen notwendigen Einschränkungen wurden ohne viel Kritik hingenommen und kaum in Frage gestellt, selbst von denen die der Regierung gegenüber sonst eher kritisch waren. Während Corona ein ernst zu nehmendes Virus ist und wir alle unseren Teil dazu beitragen sollten, seine Verbreitung so gut wie möglich zu verhindern, unter anderem indem wir uns an Abstandregelungen und Maskenpflicht halten, ist es auf der anderen Seite dennoch wichtig, nach den Ursachen der Krise zu fragen und berechtigte Kritik am Umgang der Regierung damit zu äußern.

Systemrelevant. Während viele kulturelle und soziale Veranstaltungen abgesagt wurden und private Kontakte eingeschränkt werden sollen, soll die Wirtschaft möglichst weiter am Laufen gehalten werden. In Zeiten von Corona und social distancing stellt sich die Frage, welche Arbeit wirklich notwendig, also lebensrelevant ist und welche nur „systemrelevant“, also wichtig für die Aufrechterhaltung unserer wachstumsorientierten Marktwirtschaft ist. Während der Einzelhandel eine Zeit lang komplett schließen musste, arbeiteten Menschen in Amazonlagern immer noch weiter, und zwar nicht nur beim Versand von Waren die zur sogenannten Grundversorgung gehören. Zwar gab es dort Maßnahmen zur Ansteckungsprävention und es sollte Sicherheitsabstand gehalten werden, aber dass Arbeiter:innen in Regalreihen oder auf dem Weg zur Arbeit aufeinander treffen lässt sich kaum vermeiden. Lohnerhöhungen und Überstundenbonus waren bei den Arbeiter:innen zwar natürlich willkommen, dennoch führt es auch dazu, dass Menschen, die auf das Geld angewiesen sind, krank zur Arbeit gehen. Hierunter waren auch schon Fälle von Covid-19. Mit dem Hashtag #stayathome werden Einzelpersonen und ihr Verhalten dafür verantwortlich gemacht, ob sich die Pandemie weiter ausbreitet. Die größten Corona Partys fanden aber nicht auf Spielplätzen und in privaten Haushalten, sondern in Großraumbüros und Amazonlagern statt! Während es nicht erlaubt war, dass sich mehr als 2 Personen treffen, mussten viele dennoch weiter arbeiten, zum Teil ohne ausreichende Schutzausrüstung. Das zeigt, dass der Kapitalismus buchstäblich über Leichen geht. Konsequent wäre ein nicht nur kultureller und sozialer, sondern auch ein stärkerer ökonomischer Shutdown gewesen, der die Zeit kultureller und sozialer Isolation ​​​​​​​vielleicht reduziert hätte. Denn besonders für Menschen, die alleine leben oder die unter psychischen Erkrankungen leiden, war die Zeit in sozialer Isolation auch eine große Belastung. Auch wenn aufgrund der Pandemie Kontaktbeschränkungen notwendig waren, darf auch die psychische Gesundheit dabei nicht vergessen werden. Die Zeit der sozialen Isolation möglichst gering zu halten sollte ebenfalls ein wichtiges Ziel sein. Dies wäre mit einem entprivatisierten Gesundheitssystem und Maßnahmen, die es allen mit nicht lebensrelevanten Berufen ermöglicht hätten zu Hause zu bleiben, besser möglich gewesen.

Staat und Kapital. Dazu gehört auch, die Menschen, die während der Pandemie nicht arbeiten konnten, nicht in eine finanzielle Notlage stürzen zu lassen. Was ist das für ein System, in dem Menschen Existenzängste haben müssen, nur weil sie aufgrund einer Pandemie eine Zeit lang nicht arbeiten können, obwohl eigentlich zu jedem Zeitpunkt genug Ressourcen da waren, um alle zu versorgen? Seit Beginn der Krise haben Politiker betont, dass die Grundversorgung nicht gefährdet ist. Das Virus hat keine Produktionsmittel zerstört oder zu Ernteausfällen geführt, woher kommt also eigentlich die Krise? Es ist keine natürliche Krise, sondern eine von Menschen gemachte, die nicht mit dem Virus sondern mit unserem System zu begründen ist. Es ist ein System, dass es Menschen unmöglich macht oder sie dafür bestraft, eine Zeit lang ihre Arbeit auszusetzen wenn äußere Umstände, auf die sie selbst keinen Einfluss haben, dies erfordern. Warum wurden Mieten aufgeschoben und nicht aufgehoben, warum wurden Leute während einer Pandemie gekündigt oder mussten auf einen Teil ihres Gehalts verzichten? Während gleichzeitig Firmen wie BMW, Daimler und VW, die immer noch Milliarden an ihre Aktionäre ausschütten konnten, trotzdem Staatshilfen, zum Beispiel in Form von Kurzarbeit in Anspruch genommen haben. Warum werden Firmen wie Lufthansa und diverse Autohersteller unterstützt, etwa durch Hilfspakete wie die Autokaufprämie und das geplante Lufthansa-Rettungspaket über 9 Millionen Euro, wenn diese den Klimawandel maßgeblich mit vorantreiben? Wo doch Klimaforscher schätzen, dass Pandemien mit dem Steigen der Durchschnittstemperatur nur wahrscheinlicher und verheerender werden, da sich Krankheitserreger in diesem Klima schneller vermehren können. Es wird gesagt, dass nun Geld in die Wirtschaft gepumpt werden muss – der Zukunft wegen. Dabei sieht man an diesem Beispiel, dass man damit eher das Gegenteil erreicht, und nicht zu einer Lösung des Problems beiträgt. 

Der Umgang mit den Auswirkungen der Corona-Krise ist eine Klassenfrage. Die Auswirkungen der Pandemie treffen besonders ärmere Menschen. Viele, die durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes oder durch Kurzarbeit in prekäre Lebensverhältnisse gestürzt wurden, haben jetzt berechtigte Ängste. Dadurch hat die zu Beginn noch sehr hohe Akzeptanz der Maßnahmen nachgelassen und immer mehr Menschen gehen dagegen auf die Straße. Bei den derzeitigen Grundrechte Demos geht es aber weniger um eine Kritik an der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte, oder daran dass die Regierung die Rettung der Wirtschaft über Menschenleben stellt, sondern um eine Verharmlosung bis Verleugnung des Virus und andere Verschwörungstheorien. Darüber hinaus werden viele dieser Demos von Rechten vereinnahmt. Dies hat nichts mehr mit einer sinnvollen Maßnahmenkritik zu tun, und mit Rechten gemeinsam auf die Straße zu gehen steht im Widerspruch zu der Forderung nach dem Schutz von Grund- und Menschenrechten. Maßnahmenkritik ja, aber ohne Rechtes Gedankengut und ohne rassistische und antisemitische oder das Virus verharmlosende Verschwörungstheorien!

Solidarität.

Ich möchte auch noch auf die Solidarität eingehen, die seit Beginn der Pandemie von allen so hochgehalten wird. Auch sehr viele Politiker reden aktuell von Solidarität – aber was genau ist mit Solidarität gemeint? Wenn man sieht, wie Geflüchtete an den Grenzen Europas in menschenunwürdigen Verhältnissen im Stich gelassen werden, ohne funktionierende Sanitäranlagen, ohne ausreichend Masken und Desinfektionsmittel, ohne ausreichend Platz für social distancing, während über 100.000 Deutsche aus dem Urlaub zurückgeholt werden können und auch Helfer:innen für die Spargelernte einreisen können, wird deutlich, dass damit eher nationaler Zusammenhalt als echte internationale Solidarität gemeint ist. Eher opfern wir unsere Solidarität für die Aufrechterhaltung der „Volksgesundheit“!

Nationalität hat in vielen Fällen zur Verschlimmerung der Corona Situation beigetragen, deswegen ist es erst recht falsch sich jetzt National abzuschotten. So sollen beispielsweise 200.000 Schutzmasken die von Berlin bestellt wurden, in die USA umgeleitet worden sein. Solche Berichte gibt es ebenfalls für Schutzausrüstung die von Kanada und Frankreich aus bestellt, dann aber umgeleitet wurde. Zudem sorgten Grenzschließungen überall immer wieder für Probleme. Es gab keine echte internationale Solidarität und somit auch zu wenig internationale Koordination beim bekämpfen der Pandemie. 

Während zu Beginn der Krise Corona oft noch als Naturkatastrophe gesehen wurde, die alle gleich stark trifft, mit Messages wie „Wir alle sitzen im gleichen Boot“, zeigte sich schnell, dass das nicht stimmt. Nicht nur ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sind stärker gefährdet, sondern auch alle die in lebenswichtigen Berufen arbeiten und Menschen, die von Armut, Obdachlosigkeit oder Arbeitslosigkeit betroffen sind, sowie Geflüchtete und Menschen ohne Papiere. Und trotz aller Solidaritätsbekundungen und Hilfsinitiativen die gleich zu Beginn der Pandemie entstanden sind, wird gerade von den Menschen, die sich auch vorher schon am Rand der Gesellschaft befanden, eher noch weiter abgerückt. Anlaufstellen waren geschlossen oder hatten nur sehr begrenzte Kapazitäten und Obdachlose wurden allein gelassen, anstatt sie in leeren Räume, die es z.B. in Hotels zur genüge gab, unterzubringen. 

Queer.

Auch alle Treffen von queeren Gruppen sind in Ulm ausgefallen, was für viele queere Jugendliche mit einem familiären Umfeld das sie nicht akzeptiert bedeutet hat, dass der einzige Raum, in dem sie Wertschätzung und Unterstützung erfahren, weggefallen ist. Dies ist besonders für queere Jugendliche, die zu Hause aufgrund ihrer Identität psychische und körperliche Gewalt erfahren müssen, schlimm. 

Generell hat Corona vor allem Probleme verstärkt oder sichtbarer gemacht, die bereits vorher existiert haben.

Häusliche Gewalt. Durch die Corona Krise wurde plötzlich mehr über Frauen und Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, geredet. Rund 3 Prozent der Frauen in Deutschland wurden in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt, 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt. In 6,5 Prozent aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft.​​​​​​​​​​​​​ Dass es viel zu wenig Plätze in Frauenhäusern gibt war schon vor Corona ein Problem, das man längst hätte angehen müssen. Außerdem ist es erschreckend, ​​​​​​dass Gewalt gegen die Partnerin oder Kinder anscheinend für so viele Menschen ein Ventil ist, um Stress abzubauen. In Deutschland tut man gerne so, als gäbe es außer des Paygaps keine Ungleichbehandlung mehr, dabei zeigt dies ganz deutlich, was für patriarchale Strukturen immer noch in unserer Gesellschaft verankert sind. 

Klasse. Auch Eltern und besonders Alleinerziehende wurden während der Pandemie zum Teil vor noch größere Probleme gestellt als zuvor, vor allem wenn sie Home Office und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen mussten. Schulen und Kindergärten mussten wochenlang geschlossen bleiben und es gab kaum alternative Betreuungsmöglichkeiten. Auch der Online Unterricht verlief nicht optimal, viele Schulen waren nicht gut darauf vorbereitet oder hatten nicht die notwendige Ausrüstung und Ausbildung zu Verfügung, um eine gute Qualität des Online Unterrichts zu gewährleisten. Und selbst wenn Online Unterricht stattfand, war es für Kinder ohne eigenen Computer oder aus Familien ganz ohne Computer kaum möglich, daran teilzunehmen. 

Rassismus. Ein weiteres Problem, das durch die Corona Pandemie verstärkt wurde, war Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen. Sie erlebten seit Corona vermehrt rassistische Beleidigungen, Bedrohungen, Beschuldigungen oder sogar körperliche Gewalt. Das wird besonders auch durch Äußerungen von rassistischen Menschen wie Donald Trump, indem er Corona zum Beispiel wiederholt als China Virus bezeichnete, gefördert. Es ist erschreckend, dass so viele Menschen anscheinend Corona als Vorwand nehmen, um mit ihrem Rassismus herauszurücken. Viele zeigen mit dem Finger auf China und kritisieren die dortige Tierhaltung, ohne sich je mit der Massentierhaltung in Deutschland wirklich auseinandergesetzt zu haben. Auch hier leben sogenannte Nutztiere auf engstem Raum und bekommen präventiv Antibiotika, weil Krankheitsausbrüche anders nicht verhindert werden können. Corona Ausbrüche in Schlachthöfen zeigen jetzt auch die katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen, die dort arbeiten vermehrt auf. Auch vor Corona wurden die Arbeiter*innen in der Fleischindustrie rücksichtslos ausgebeutet und in viel zu kleine Unterkünfte gesteckt. Jetzt bedroht dies zusätzlich die Gesundheit aller. Wir wollen klar machen, dass wir, anstatt nur Symptome zu behandeln, Ansätze an den Wurzeln der Probleme fordern, die ganze Tierindustrie als ein Problem dabei ganz voran. 

Gerade jetzt dürfen wir solche wichtigen Themen wie soziale Ungerechtigkeit, die unwürdigen Bedingungen in Geflüchteteneinrichtungen, Rassismus, Ausbeutung und die Klimakrise, die uns vor Corona grundlegend beschäftigt haben, nicht aus den Augen verlieren. Denn sie werden auch noch nach Corona ein Problem sein, vielleicht sogar noch stärker als zuvor. Darum lasst uns vor allem jetzt mit allen solidarisch bleiben, die unsere Solidarität brauchen, egal welche Grenzen uns trennen! Solidarität ist keine echte Solidarität, wenn sie nicht für alle gilt!

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