Redebeitrag: Das Problem ist Männlichkeit

Am 11.7.2020 machte die Afd eine Kundgebung auf dem Marktplatz in Ulm. Wir haben dagegen protestiert. Hier ein Redebeitrag unserer Kundgebung und inhaltliche Anmerkungen.

Redebeitrag:

Wir stehen heute hier, weil die AfD dort drüben auf dem Marktplatz eine Kundgebung macht. Und wir das einfach beschissen finden. Anlass der Kundgebung  ist der Prozess gegen vier Asylbewerber, die Halloween letzten Jahres ein 14-jähriges Mädchen vergewaltigt haben sollen.

Die AfD stellt sich dahin mit einem Banner, auf dem steht:

„Ihr erzieht unsere Kinder zu Schafen und lasst die Wölfe ins Land“

Das ist einfach nur rechte Hetzte und hat nichts mit Solidarität mit der Betroffenen zu tun. Das Problem ist nicht Migration. Das Problem ist Männlichkeit.¹ Dies ist nicht der einzige Fall der momentan verhandelt wird.

Gerade läuft zum Beispiel auch ein Prozess gegen einen Mann, der in Erbach seine Expartnerin mit einem Messer schwer verletzte. Solche Taten werden gerne Mal als Beziehungstaten oder Familiendramen abgetan. Gewalt gegen Frauen ist eine reale Gefahr. Die Täter sind allerdings selten völlig Fremde. Es sind Väter, Freunde, Partner, Familienangehörige, Trainer, Coaches, Jugendgruppenleiter, Bekannte, die zu Tätern werden. Die Frauenberatungsstelle Ulm hat im Jahr 2019 164 Frauen beraten. 93% der Täter kamen aus dem näheren Umfeld der Betroffenen.

Bei der Kundgebung der AfD handelt es sich um nicht mehr, als eine Instrumentalisierung² der Tat für ihre politischen Ziele. Wie auch schon in Kandel, wo die Aufmärsche das enorme Mobilisierungspotential der extremen Rechten aufzeigten. Und die gegen den ausdrücklichen Wunsch der Familie organisiert wurden alleine trauern zu dürfen.

Außerdem ist es einfach nur heuchlerisch und absurd, dass sich Personen dort hinstellen, die gerade erst durch krass antifeministische Äußerungen aufgefallen sind. Markus Mössle, der für die AfD in Ulm im Stadtrat sitzt, kritisierte erst vor wenigen Wochen den Mädchen und Frauenladen in der Weststadt dafür, dass er Projekte nur für Mädchen macht. Das sei [Zitat] „ diskriminierend gegenüber Männern“.

Die Kundgebung der AfD ist kein Ausdruck einer solidarischen Haltung. Sie ist paternalistisch. Eine Instrumentalisierung der Betroffenen und einfach nur rechte Hetze.

Das Problem ist nicht Migration.

Das Problem ist Männlichkeit.

Solidarität mit den Betroffenen von Gewalt gegen Frauen.

Kein Platz der AfD!!!

Anmerkungen:

Recherche zu den Akteur*innen in Ulm: https://rechteumtriebeulm.blackblogs.org/2020/07/13/afd-11-07-2020/

¹ Das Problem ist Männlichkeit. Diese Parole hat für viel Aufsehen gesorgt und auch für Kritik von sowohl rechts, als auch von solchen, die sich links nennen. Eine Parole soll kurz, prägnant und einprägend sein, dass wollen einige nicht zu verstehen, fühlen sie sich doch zu sehr in ihrer fragilen Männlichkeit angegriffen. Eine tiefe Analyse ersetzt sie nicht und diese werden wir auch hier nicht liefern. Dennoch eine kleine Einordnung.

  1. Das Patriarchat ist älter als der Kapitalismus. Es wird mit seiner Überwindung nicht aufgehoben, ob er (der Kapitalismus) ohne Überwindung des Patriarchates überhaupt fallen wird ist fraglich. Einen Hauptwiderspruch gibt es nicht.
  2. Das Patriarchat hat mit Aufkommen des Kapitalismus eine strukturelle und signifikante Veränderung erfahren und ist mit diesem verstrickt [vgl. Federici 2012]. Beide sind zu bekämpfen.
  3. Buchempfehlung Rolf Pohl, Feindbild Frau und Silvia Federici, Caliban und die Hexe
  4. Nicht einzelne fehlgeleitete Männer sind das Problem, sondern Männlichkeit. Speziell die Männlichkeit, welche unter kapitalistischen Bedingungen entsteht, aber auch generell männliche Subjektivität und Sexualität:

„Dies zeigt sich in spezifischer Weise auf dem Feld der männlichen Sexualität und insbesondere an der vorherrschenden Ausrichtung der sexuellen Begehrensstruktur des Mannes, das heißt: Sein der Norm der Heterosexualität unterliegendes, auf Frauen gerichtetes Begehren macht den Mann im hohen Maße abhängig – abhängig von seinem eigenen Begehren und mit dieser Fixierung gleichzeitig abhängig von den Frauen Gerade weil das Gefühl männlicher Überlegenheit auf der unbewussten Abwertung und Herabsetzung von Frauen basiert, erweist sich der Wunsch nach Autonomie und Erhabenheit als trügerische Illusion, denn hier zeigt sich, dass der Mann nirgends schwächer und (scheinbar) einer >>fremden<< Kontrolle unterworfen ist, als auf dem Feld der Sexualität. Die Folge ist die Entwicklung einer mehr oder weniger paranoid getönten, im Notfall kampfbereiten Abwehrhaltung, deren unbewusster Kern eine ambivalente, aus Angst, Lust und Hass gekennzeichnete Einstellung zu allem Bedrohlichen ist, das als Schwäche, als nicht-männlich empfunden und mit Frau und Weiblichkeit assoziiert bzw. davon abgeleitet wird und das im Krisenfall mittels Projektion >>externalisiert<<, verfolgt und nun im Außen als >>Notwehr<< energisch bekämpft werden kann. [Es geht dabei auch] um die Spezifität einer sexuellen Lust, in die Feindseligkeit und Gewaltförmigkeit bereits grundlegend uns strukturell eingelagert sind. Feindseligkeit aber ist eine der wichtigsten Wurzeln von Gewaltbereitschaft, und das bedeutet für den Zusammenhang von Sexualität und Gewalt: In fällen sexueller Gewalt werden Frauen unbewusst auch für das Begehren bestraft, dass sie im Mann auslösen.“ [Pohl 2004: S. V f.]

² Die Instrumentalisierung von (realen, möglichen oder erfundenen) Übergriffen gegen Frauen³ hat in der rechten Ideologie eine lange Tradition. So wurden schon im Nationalsozialismus jüdische Männer³ als ‚hypersexuell‘ dargestellt um auf eine angebliche Gefahr für die ‚Volksgemeinschaft’⁴ (durch Blut und Boden – Rassismus – definierte Deutsche) hinzuweisen [vgl. Lehnert 2015: 16]. Zwar artikuliert sich heute Rassismus vielmehr über vermeintlich kulturelle Unterschiede [vgl. Messerschmidt
2015: 160], allerdings bleibt er in seinem Wesen weitestgehend gleich. Auch in Ulm wird das Phänomen sexualisierter Gewalt von den rechtspopulistischen Gruppierungen instrumentalisiert, um politisches Handeln zum vermeintlichen Wohl der ‚Volksgemeinschaft‘ zu legitimieren.

Zuerst wird durch die Rechten das eigentliche Thema sexualisierte Gewalt dethematisiert. Da es nicht um die Gewalt geht und dessen Verhinderung, sondern um einen Nutzen für eigene politische Perspektiven und Forderungen, ist das Aufzeigen der Instrumentalisierungen von großer Bedeutung.

Nach dieser Perspektive werden die, welche der ‚Norm‘ nicht entsprechen, als abnormal betitelt. So soll in der heutigen Zeit sexuelle Freiheit als eine Norm gelten, die sich jedoch von Migrant*innen abgrenzt, die auf einer Seite ein zu striktes Geschlechterbild hätten, was zum Beispiel beim Tragen eines Kopftuches erkennbar sei. Auf der anderen Seite würden Migrant*innen ein unkontrolliertes Sexualverhalten aufweisen, sodass zum Beispiel männliche Migranten als Vergewaltiger dargestellt werden [vgl. Dietze 2017: 288]. Migration wird im Rechtspopulismus als Angriff auf das Sexualdispositiv begriffen, weswegen ein Schutz gegenüber Migrant*innen gewährt werden müsse. Somit ist das Sprechen über Sexualität mit Abgrenzungen verknüpft – dies soll ein Sicherheitsdispositiv darstellen [vgl. ebd.]

Die Antwort in Bezug auf die Problematik wird (wie für Populisten üblich) simpel gehalten: Im Fokus liegen die Täter*innen, nicht die Betroffenen, daraus resultiere Rache gegen die Täter*innen. Zudem werden meist Behauptungen aufgestellt, wie zum Beispiel, dass sexueller Missbrauch zunehme, um eigene Aussagen zu unterstützen. Zuletzt findet keine tatsächliche Auseinandersetzung mit komplexen Themen, wie sexueller Missbrauch als solcher, statt [vgl. Petersen 2015: 21].

In rechtspopulistischen Diskursen werden insbesondere die Fälle skandalisiert, in denen Täter*innen die vermeintlich ‚Anderen‘ sind [vgl. Petersen 2015: 21]. Somit geschieht eine Externalisierung der Problematik; die eigene Gesellschaft habe schließlich nichts mit der ‚anderen‘ gemeinsam [vgl. Petersen 2015: 22]. Die Sexualität, bzw. Sexualpolitik der ‚Anderen‘ wird skandalisiert und zugleich wird der eigene Sexismus unsichtbar gemacht [vgl. Dietze 2017: 97] – so entsteht ein Bild eines gewaltfreien Schutzraumes [vgl. Petersen 2015: 31]. Dies ist zentral für Rechtspopulist*innen, da es innerhalb der ‚Volksgemeinschaft‘ sexualisierte Gewalt auf ideologischer Ebene nicht geben könne, denn „[i]nnerhalb des Volksgemeinschaft-Konzeptes und der Konstruktion »richtiger Männer« und »wahrer Frauen« hat das Thema sexualisierter Gewalt keinen Platz.“ [Petersen 2015: 30].

Das Degradieren der ‚Anderen‘, beziehungsweise das Abwerten des Fremdbildes oder gar das Erstellen eines Feindbildes, führt zu einer Aufwertung, beziehungsweise Idealisierung des Selbstbildes [Rommelspacher 1997: 33]. Die einhergehenden Stereotypisierungen der ‚Anderen‘ (‚die unterdrückte Muslimin‘) entstehen nicht selten durch Projektionen eigener Ängste (Unterdrückung der ‚emanzipierten‘ Frauen* Deutschlands). Hier soll das Bild der unterdrückten Muslimin die Fortschrittlichkeit und Emanzipation der eigenen feministischen Diskurse verdeutlichen [vgl. Rommelspacher 1997: 36].

Es findet eine systematische Verknüpfung von Phänomenen und Diskursen sexualisierter Gewalt mit Mechanismen von Rassismen statt. Immer wieder ist die Sexualität und das ‚rückschrittliche‘ Frauenbild der ‚Anderen‘ Thema, das alles zusammen immer wieder in einer Versämtlichung der ‚Anderen‘ endet. In den analysierten Materialien wird sexualisierte Gewalt erstens als ein neues Phänomen in Deutschland betrachtet, welches zweitens seine Ursache in den Bewegungen von Geflüchteten nach Deutschland seit 2015 habe. Einzelne Fälle wie die Kölner Silvesternacht 2015 fungieren so als Signifikant, weil sie immer als Symptom eines tief liegenden Problems betrachtet werden. In ihrer Parallelführung von sexualisierter Gewalt und Flüchtlingsbewegungen kehren dann auch bereits bekannte rassistische Bilder und Begründungsmuster wieder. Abgerufen werden sowohl kulturalisierend als auch traditionelle ‚Rasse-biologische‘ Vorstellungen von Gesellschaft.

Es lässt sich also schlussfolgern, dass diese Phänomene lediglich als Mittel dafür dienen, die bereits vorhandenen rassistischen Vorstellungen zu bebildern und den Schein von Legitimität zu liefern.

³ Aus rechter Perspektive gibt es nur Frauen und Männer, dass das falsch ist hat die Forschung ausreichend gezeigt.

⁴ „Das Konstrukt der ‚Volksgemeinschaft‘ bildet mit seinen
geschlechtsbezogenen Platzanweisern und dem traditionellen
verengten Familienbild die ideologische Klammer dieses
vermeintlich naturhaften Entwurfs. Innere wie äußere Bedrohungen scheinen die vermeintlich natürliche Stabilität der ‚Volksgemeinschaft‘ ins Wanken zu bringen: Während die Flexibilisierung traditioneller Geschlechterrollen als innerer Feind imaginiert wird, gilt u.a. Migration als Bedrohung von außen.“ [Laumann 2014: 20].

⁵ „Ein Dispositiv ist ein Mechanismus, bestimmte Phänomene
oder Diskurse herzustellen, (Sexualität, um damit Strafsystem machtpolitische Gefängnis) erst Entscheidungen (Aussortieren, Bestrafen) zu fällen“ [Lorenz/Ruffing 2012: 45].

 

Dietze, Gabriele (2017): Das Ereignis Köln. Femina Politica 2016 (1), S. 93-102.

Federici, Silvia (2012): Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. Aus dem Engl. v. Max Henninger. Mandelbaum Verlag, Wien.

Laumann, Vivien (2014): (R)echte Geschlechter, in: Katharina Debus/Vivien Laumann (Hg*in), Rechtsextremismus, Prävention und Geschlecht. Vielfalt. Macht. Pädagogik, S. 19-30.

Lehnert, Esther (2015): Die Ideologie der »Volksgemeinschaft« und ihre Anschlussfähigkeiten, in: Fachstelle Gender und Rechtsextremismus: Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis. Analysen und Handlungsempfehlungen, S. 15-18.

Lorenz, Ansgar/ Ruffig, Reiner (2012): Michel Foucault: Philosophie für Einsteiger,
München: Wilhelm Fink Verlag.

Messerschmidt, Astrid (2015):›Nach Köln‹ – Zusammenhänge von Sexismus und Rassismus thematisieren, in Die Dämonisierung der Anderen, Transcript Verlag, S. 159–172.

Petersen, Janna (2015): Analyse: Wie instrumentalisieren Rechtsextreme das Thema sexueller Missbrauch?, in: Fachstelle Gender und Rechtsextremismus: Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis. Analysen und Handlungsempfehlungen, S. 19-31.
 
Pohl, Rolf (2004): Feindbild Frau, Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen, Hannover: Offizin-Verlag
 
Rommelspacher, Birgit (1997): Fremd- und Selbstbilder in der Dominanzkultur, in: Annegret Friedrich (Hg*in), Projektionen. Rassimus und Sexismus in der Visuellen Kultur, Marburg: Jonas, S. 31-40.